5 Tipps von Angela Schneider
Schauspielerin und Stimme der Wiener Linien
Angela Schneider, geboren 1963 in Wien, Besuch des Schauspielseminars am Volkstheater. Die Wienerin besetzte in den letzten 25 Jahren mehr als 100 Rollen. Aktuell: "Lockvogel küsst Tontaube." Außerdem begleitet Schneider die WienerInnen im Alltag: Sie ist die neue Durchsage-Stimme der Wiener Linien.
Für die StadtSpionin stellt sie fünf ihrer aktuellen Lieblingsbücher vor.
Kaiser-Mühlecker | „Roter Flieder“
Schneider: „Herkunft und Wurzeln können wohl in Einzelfällen starke Sehnsüchte und zielorientierte Kräfte bewirken. Mit dem entsprechenden Talent natürlich. Der Autor stammt aus einem kleinen Dorf in Oberösterreich, ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er erschafft ein Sprachpanorama, in das man sich fallen lassen kann: Dabei lässt er einen aber nicht fallen, man verirrt sich nicht in diesen genauen Sätzen, die durch seine Erzählwelt führen. Im Gegenteil: Man betritt Neuland auf sicherem Boden. Er beschreibt mit einer Präzision, die ich in dieser Form von keinem jungen Autor kenne. Seine Geschichten sind mit seiner Herkunft „seeleninhaltlich“ verbunden. Es fließt immer etwas mit ein aus der kleinen ländlichen Struktur mit ihrem oft sparsamen Mitteilungsbedürfnis und ihrer „Sprachlosigkeit“, die er mittels der Sprache überwindet. Eine unglaubliche Kraft des Erzählens in der Stille, ein genauer Beobachter, ein Meister in der Beschreibung des Peripheren und Unausgesprochenen. “
Verlagsinfo:
Roter Flieder ist ein gewaltiger Roman, geformt aus der Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts, seinen Hoffnungen und Wirren. (...)
Auf der langen Strecke gehen Menschen dreier Generationen verloren. Sie scheitern an ihrer Unfähigkeit, den anderen wahrzunehmen, sich verständlich zu machen oder sich auch nur über die eigenen Gefühle klarzuwerden. Gottesfürchtigkeit und Schicksalsergebenheit bemänteln Sprachlosigkeit und stumme Gewalt.
Verlag: Hoffmann und Campe
Joyce Carol Oates |
„Meine Zeit der Trauer“
Schneider: „Es geht mir bei allen ihren Romanen ähnlich: Ich „verschlucke“ sie. „Meine Zeit der Trauer“ ist sicher ihr persönlichstes Buch. Oates geht durch die Zeit nach dem Tod ihres Mannes, mit dem sie 5 Jahrzehnte zusammen war. Wie lebt man ohne den Menschen weiter, ohne den man eigentlich nicht leben kann? Neben der Ohnmacht, den ersten zähen Schritten in den Alltag, den Rückfällen in tiefe Depression, vermittelt sie grandios die Details am Rande der Wahrnehmung. Sie analysiert genau, wird dabei nie selbstmitleidig. Ein schmerzhafter, autobiografischer Bericht, der trotzdem nicht in den eigenen vier Seelenwänden stecken bleibt. Es tut weh und baut trotzdem auf.“
Verlagsinfo: Joyce Carol Oates und Raymond Smith waren über ein halbes Jahrhundert ein Paar. (...) Nie zuvor hat Oates so tiefen Einblick in ihr Innerstes gegeben. Hier tut sie es, bewegend, klug und überraschend. Wir lernen eine andere Joyce Carol Oates kennen: eine starke Frau, die am Ende sagen kann "Dies ist jetzt mein Leben".
Verlag: Fischer
Claudia Erdheim | „Längst nicht mehr koscher“
Schneider: "Auch von ihr habe ich alles gelesen. Sie schreibt fast immer authentisch aus ihrem Leben: staubtrocken und saukomisch. Manchmal muss ich schallend lachen.
Sie will niemanden verzücken und bringt mir ihre Figuren durch eine ungeschminkte Erzählweise umso näher. In ihrer Wahrnehmung unbestechlich, ist ihr Blick auf sich und andere unsentimental. In diesem Buch dringt sie tief in die Geschichte ihrer Familie, die ihre Wurzeln in Galizien hat. Ich habe eine ganze Bücherwand mit jüdischer und Holocaust-Literatur. Die Tragik einzelner Familiengeschichten aus dieser Zeit ist schwer messbar. Das Besondere hier ist die Verschmelzung von Roman und Dokumentation. Zwischen knapper Beschreibung und Dialogen ohne Schnörkel stellt sie Moses Hersch und seine fünf Söhne klar vor mein inneres Auge."
Verlagsinfo: Die galizisch-jüdische Familie Erdheim zwischen 1874 bis 1945 im Spannungsfeld von Emanzipation und Isolation. Galizien, das östlichste Kronland der Monarchie. Moses Hersch und Esther haben fünf Söhne. Sie sind fromme, aber aufgeklärte Juden. In ihrer Heimatstadt Boryslaw gibt es Erdöl, es herrscht Manchester-Kapitalismus. Die Familie ist sehr wohlhabend, sie besitzt Gruben, eine Erdölraffinerie und eine Brauerei. Doch ihr Schicksal und das der nachfolgenden Generationen wird vom Lauf der Geschichte bestimmt.
Verlag: Czernin
Marta Schlinkert | „Maxi kommt in die Schule“
Schneider: „
Wie wird man zur pathologischen Leserin? Sicher durch die ersten Kinderbücher, aber nicht zwingend. Maxi war mein erstes „Suchtbuch“. Nach der letzten Seite habe ich vorne wieder angefangen: 40 bis 50 Mal. Heute ist das Buch am Zerfallen. Die Geschichte hat mich immer wieder in dieselben Höhen und Tiefen meiner Beziehung zu dieser Maximiliane geschleudert. Schon das Cover: Ihre rote Kappe, der Schirm, die Schultüte: Sie war meine beste Freundin. Es hat später noch viele Suchtbücher gegeben: Marlen Haushofers Die Wand, Hannelore Valencaks Das Fenster zum Sommer, Entdeckungen wie Wolfgang Hermanns Abschied ohne Ende und Grigori Rjaschskis Moskau, Bel Etage, Stefan Zweigs Brennendes Geheimnis, Arthur Schnitzlers Frau Berta Garlan und noch viele mehr. Allesamt Bücher, die mich in „literarische Einzelhaft“ genommen haben. “
Auszug aus dem Buch: Liebe Buben und Mädel, Ich bin Maximiliane Kellerhaus, genannt Maxi. Zu meinem Geburtstag habe ich ein Schirmchen geschenkt bekommen, ein rotes mit weißen Punkten. Weil mich Peter geärgert hat, habe ich mit der Schirmspitze nach ihm gestochen, so böse war ich auf ihn. Vor Wut hat er mit einem Stock ein Loch in den Stoff gebohrt. Was meint Ihr, wie ich da geheult habe! Peter hat seinen Streich bereut, und zudem fiel ihm etwas besonders Schönes ein. Er klebte über das Loch ein Stück Cellophan und ich habe ein hübsches Guckloch, durch das ich prima hindurchschauen kann.
Verlag: Engelbert
Veronique Olmi | „Meeresrand“
Schneider: „Ich liebe Bücher, die mir „Negativfiguren“ vermitteln, Menschen, die mich verärgern oder sogar abstoßen. Kurz: die sich meine literarische Sympathie hart erkämpfen müssen. Gefährliche Liebschaften etwa, Viktorija Tokarjewas Glücksvogel oder Veronique Olmis Meeresrand: Eine Mutter, die am sozialen Abgrund steht, fährt mit ihren beiden kleinen Söhnen ans Meer. Mit dem Nachtbus. Im Winter. Ohne Rückfahrkarte. Sie hat kein Geld und man ahnt, dass die drei auch nicht mehr zurückfahren werden. Nach ein paar Tagen erstickt sie ihre Kinder im Hotelzimmer. Ich bin kein Fan der Kindsmordliteratur, aber dieses Buch hat mich nachhaltig verstört. Und wenn so ein Thema literarisch abgehandelt wird, will ich auch verstört werden. Ich wollte diese Frau, die in ihren Depressionen und der Unfähigkeit, das Leben zu bewältigen, steckt, wachrütteln, anschreien, aber man spürt: Das Ende ist nicht zu korrigieren. Eine kompromisslose Erzählung, auch in ihrer Sprache, die nichts verschönt."
Verlagsinfo: Einmal sollen ihre beiden Söhne das Meer sehen. Das hat sie sich fest vorgenommen. Es ist ihre erste Reise und die letzte. Eine Reise ins Herz der Verzweiflung.
Verlag: btb
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