Kunst ist meine Leidenschaft
Dr. Gabriele Schor im Interview
In den letzten Jahren baute Gabriele Schor eine zeitgenössische Kunstsammlung ersten Ranges auf: Seit 2004 leitet sie die Sammlung Verbund. Sie legte einen Schwerpunkt auf die feministische Avantgarde der 1970er Jahre, entdeckte Birgit Jürgenssen für die Öffentlichkeit neu und lässt jeden Abend zur Dämmerstunde gelben Nebel entlang der Verbund-Fassade aufsteigen – in der Installation "Yellow fog" von Olafur Eliasson. Der StadtSpionin erzählte die studierte Philosophin, wie man Kunst sammelt und warum Leidenschaft wichtig ist.
Dr. Gabriele Schor, Leiterin der "Sammlung Verbund"StadtSpionin: Sie leiten die Sammlung Verbund, haben
in der Londoner Tate Gallery
gearbeitet, an den Unis Graz und Wien Kunst und Kunstkritik gelehrt. Waren Sie immer schon an Kunst interessiert?
Gabriele Schor: Mein Interesse an bildender Kunst hat sich während meines Philosopiestudiums entwickelt. Zu Beginn des Studiums habe ich mich intensiv mit gesellschaftspolitischen Theorien beschäftigt. Dann habe ich je ein Semester in West- und Ostberlin studiert. In Ostberlin hab ich den Mauerfall miterlebt, das war eine spannende Zeit - dort fokussierte sich mein Interesse zusehends in Richtung Ästhetik und Kunst.
Gab es da einen bestimmten Auslöser dafür?
Ja, ich habe damals ein Buch über Friedrich Nietzsche gelesen, von dem französischen Philosophen Gilles Deleuze. Das war gedanklich anders als die Gesellschaftstheorien, es standen vielmehr das Ästhetische und das Psychologische im Vordergrund. Das hat mich sehr beeinflusst, und dann entzündete sich für mich der Enthusiasmus für Kunst.
Und wann hat sich für Sie herauskristallisiert, dass Sie im Bereich Kunst arbeiten möchten?
Das begann nach der Zeit in der DDR, da habe ich bei einer Ausstellung an der Hochschule für angewandte Kunst mitgearbeit, die die abstrakte Kunst der ehemaligen Ost-Länder gezeigt hat. 1996 folgte dann meine erste selbst kuratierte Ausstellung zu den Druckgraphiken von Barnett Newman.
Gabriele Schor in Aktion: beim Aufbau einer Ausstellung Wie sammelt man eigentlich Kunst? Speziell auch im Hinblick auf die Sammlung Verbund?
Die Sammlung Verbund wurde vom Verbund-Vorstand 2004 initiiert. Zuerst habe ich analysiert, welche Firmensammlungen welche Aussrichtungen haben. Grundsätzlich muss man bei einer Firmensammlung konzeptuell vorgehen, sich überlegen, was kann ich anders machen. Gleich zu Beginn war mir klar: Wir müssen der „Beliebigkeit“ entgegensteuern. So entstand unsere Maxime: „Tiefe statt Breite“. Wesentlich ist, ein Profil aufzubauen, damit das Publikum erkennen kann, wofür die Sammlung Verbund steht.
Und die Sammlung Verbund steht für feministische Avantgarde?
Ja! Aber nicht nur. Wir haben einerseits den Schwerpunkt „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ und widmen uns andererseits dem Thema "Räume und Orte".
Feministische Avantgarde in Österreich ist ja ein bislang nicht sehr beachtetes Thema.
Wir haben die erste umfassende Monographie zum Werk der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen publiziert, ihren Nachlass aufgearbeitet und etwa 50 Arbeiten angekauft. Wir haben ähnlich viele Werke der österreichischen Künstlerin Renate Bertlmann erworben. Die Sammlung Verbund schafft im Bereich feministischer Kunst das Bewusstsein, dass es zu dieser Zeit einige Künstlerinnen gegeben hat, deren Werk es wert ist, von der Kunstgeschichte nicht mehr maginalisiert zu werden!
War es das Interesse vom Verbund, diese feministische Kunst zu sammeln oder basiert das auf Ihrer Initiative?
Mein Adivsory Board, Philipp Kaiser (Kurator am MOCA in Los Angeles) und Marc-Olivier Wahler (Leiter des Palais de Tokyo in Paris) und ich, wir haben völlig freie Hand, wir können kunsthistorisch autonom entscheiden. Bis auf das Budget gibt es keine Vorgaben vom Vorstand. Wir kaufen auf keinen Fall Kunstwerke, damit wir sie ins Büro hängen
"Yellow fog" von Olafur Eliasson: jeden Abend steigt Nebel an der Verbund-Fassade hoch können. Wir erwerben auch installative Arbeiten, Videos und Filme. Und "Yellow fog" von Olafur Eliasson, der täglich zur Abenddämmerung entlang der Verbund-Fassade aufsteigt, ist unsere erste Intervention im öffentlichen Raum.
Wo werden die Werke der Sammlung Verbund eigentlich ausgestellt? Kann man die auch irgendwo sehen?
Wir haben jährlich drei Ausstellungen in der Vertikalen Galerie in der Verbund-Zentrale. Während dieser Ausstellungen kann das Publikum jeden Mittwoch um 18 Uhr an einer kostenlosen Führung teilnehmen. Da kann jede/r kommen – man muss sich nur kurz vorher per Email oder Telefon anmelden.
Gleichzeitig zeigen wir jährlich unsere Werke in verschiedenen Museen, auch im Ausland. Auswahl und Ankauf sind wesentliche Aktivität, aber Kunstvermittlung, Ausstellungen und Publikationen sind uns auch sehr wichtig.
Mit Ihrer letzten Ausstellung zu Birgit Jürgenssen haben Sie ziemlich viel Aufsehen erregt, man kann eigentlich sagen, Sie haben die Wiener Künstlerin, die 2003 im Alter von 54 Jahren verstorben ist, für die Öffentlichkeit wiederentdeckt. Stimmt es, dass die Sammlung Verbund die Werke von Birgit Jürgenssen exklusiv zeigt? ?
Es stimmt, dass wir uns als einzige Kunstinstitution für das Werk von Birgit Jürgenssen besonders engagieren. Wir erwerben ihre Arbeiten seit 2004 kontinuierlich, haben ihre Kunstwerke innerhalb eines internationalen Kontextes gezeigt und die erste Monographie erarbeitet. Und dieses Jahr machen wir eine Kooperation mit dem Kunstforum zur ersten posthumen Retrospektive von Birgit Jürgenssen. Nach der Frida Kahlo-Ausstellung wird am 15. Dezember 2010 die Eröffnung sein!
Welche Museen in Österreich zeigen denn sonst noch Werke von Birgit Jürgenssen?
Unverständlicherweise bisher keines! Das MAK hat nach ihrem Tod eine schöne "Schuh"-Ausstellung gezeigt. Das MUMOK und das Rupertinum in Salzburg haben Arbeiten von Jürgenssen, die kommen aber nie aus dem Depot heraus.
Jeden Mittwoch führt Gabriele Schor durch die Sammlung Was fasziniert Sie persönlich an der Künstlerin Birgit Jürgenssen?
Ihre Subtilität, ihre Selbstironie. Ich finde es bemerkenswert, dass sie über alle drei Jahrzehnte, in denen sie gewirkt hat, ihre künstlerische Qualität gehalten hat. Ihre Vielseitigkeit finde ich faszinierend. Zugleich hat ihr Werk etwas „poetisch Abgründiges“, es erzählt über Ausweglosigkeit, Bedingungslosigkeit und über die Tragik des Lebens. Sie war eine großartige Zeichnerin und in der Fotografie autodidakt. Besonders dort spürt man ihren unglaublichen experimentellen Willen.
Sehen Sie sich selbst auch als experimentellen Menschen, als jemand der viel ausprobiert?
Ja, ich kann gut mit Veränderungen umgehen, auch mal spontan. Ich stelle mich gerne neuen Herausforderungen.
War Birgit Jürgenssen eine Revoluzzerin?
Sie war eher eine stille Revoluzzerin. Sie hat in der Öffentlichkeit keine Performances gemacht. Birgit Jürgenssen war zurückhaltender, sie arbeitete eher im Verborgenen. Und sie hatte einen subtilen Geist. Provokation war nicht ihres.
Man hat das Gefühl, wenn man mit Ihnen spricht, dass Sie für die Kunst leben. Ist Kunst auch privat ein ständiger Begleiter?
Ja. Ich gehe oft in Museen und schaue mir verschiedenste Ausstellungen an. Hier überschneidet sich Privates mit Beruflichem. Die Leidenschaft für Kunst hört nach der Arbeit nicht einfach auf.
Sammeln Sie privat auch Kunst?
Ich freue mich immer sehr darüber, wenn ich mir ein Kunstwerk kaufe. Beruflich muss ich ziemlich strategisch vorgehen. Aber wenn ich mir privat eine Zeichnung oder eine Fotografie kaufe, kann ich anders vorgehen - ich kaufe, was mir spontan gefällt und was ich mir leisten kann.
Sammlung Verbund
Und wie oft schaffen Sie es, ins Museum zu gehen?
Fast wöchentlich, was natürlich auch beruflich bedingt ist. Man bekommt auch ein Gefühl für Qualität, wenn man viele Ausstellungen sieht.
Wie muss man sich denn einen Arbeitstag von Gabriele Schor vorstellen?
Der Arbeitstag wird durch den Jahresrhythmus strukturiert, je nach dem aktuellen Ausstellungs- und Buchprojekt. Aber auch durch Fixpunkte wie die Kunstmesse in Basel. Dann gibt es bestimmte Ausstellungen von Künstlern, deren Werke wir in der Sammlung haben, die besuche ich natürlich. Research Arbeit ist unheimlich wichtig. Ein weiterer Fixpunkt sind die jährlichen drei bis vier Treffen mit dem Advisory Board oder die internen Besprechungen mit meinem Team. Weiters kuratiere ich die drei Ausstellungen in der Vertikalen Galerie im Verbund-Haus, die müssen auch vorbereitet werden, die Bilder gehängt und Texte verfasst werden.
Ist für Sie Kunst eine eigene Welt – oder hat sie auch mit dem „wirklichen“ Leben zu tun?
Kunst kann das Leben und die Empfindungen eines Individuums und das Selbstverständnis eines Konzerns definieren. Wenn man sich mit Kunst beschäftigt, darauf einlässt, auch eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber so manchen Arbeiten aushält, dann bereichern diese Erfahrungen. Setzt man sich dem Prozess des „etwas Anderes kennen zu lernen“ auch in anderen Lebensbereichen aus, dann werden die eigenen Empfindungen lebendiger, das Leben und die Arbeit interessanter und bunter.
Also wenn man sich für Kunst öffnet, kann man sich auch in anderen Lebensbereichen öffnen?
Ja, davon bin ich überzeugt.
Gracia Geisler (November 2010)
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