Stadtgespräch


Der Buddhismus braucht mehr Frauen

Lama Palmo im Interview

Sabine Arzt-Januschke (39) studierte in Wien Germanistik und arbeitete als Journalistin, bis sie ihr Leben durch die Begegnung mit dem Buddhismus komplett änderte. Nach vielen Jahren im Ausland lebt sie heute – ohne jeglichen materiellen Besitz – wieder in ihrer Heimat: als eine der weltweit ersten buddhistischen Priesterinnen. Die StadtSpionin traf sich mit Gelongma Lama Karma Tsultriim Palmo Karuna, die gerne lacht und meist in mehreren Sprachen gleichzeitig spricht.


Lama Palmo
Gelongma Lama Palmo, buddhistische Priesterin in Wien
StadtSpionin:
Ihr Name besteht aus sechs Wörtern. Wie muss ich Sie eigentlich ansprechen?

Lama Palmo: Wie wollen’s denn? (lacht) Normalerweise reden mich die Leute als Lama Palmo an. Oder einfach nur Lama. Weil das Ganze so furchtbar lang ist...
Lama Palmo bedeutet „Glorreiche spirituelle Lehrerin“. Was heißt dann Gelongma?
Gelongma hat mit dem Nonnentum zu tun, das ist eine Art der „Weihe“, wir nennen das Ordination. Die Besonderheit bei der Gelongma ist, dass es das in Tibet nicht gegeben hat. Wir Frauen – die wir im tibetischen Buddhismus ordiniert sind –  müssen uns das von wo anders herholen. Also ich habe meine Voll-Ordination im vietnamesichen Zen-Buddhismus erhalten, weil es in Vietnam die Ordination für Frauen gibt.
Das heißt, eigentlich sind Sie beheimatet im tibetischen Buddhismus, ordiniert sind Sie aber als vietnamesische Nonne ?
Ja. Bei uns gibt’s verschiedene Arten von Gelübden. Es gibt die Nonnen- und Mönchs-Gelübde: Hinayana –Gelübde, übersetzt „kleines Fahrzeug“ oder „kleiner Weg“. Das sind die Grundlagen, die sind in allen buddhistischen Traditionen mehr oder weniger gleich. Dann gibt es das Mahayana-Gelübde („großes Fahrzeug“) und schließlich noch Vajrayana, das „letztendliche Fahrzeug“, das ist das allumfassendste Gelübde. Letzteres ist so ziemlich alles, was mit „tibetischem Buddhismus“ zu tun hat. Wobei ich mir schwer tue mit dem Wort tibetischer Buddhismus, weil das eine westliche Erfindung ist.
Wie, tibetischer Buddhismus ist eine westliche Erfindung ?
Na das hört sich so an, als ob die Tibeter was erfunden hätten, was es vor ihnen noch nicht gegeben hat. Tatsächlich ist das aber die Überlieferung von Buddha, die auch nach Tibet gelangte.
Und Sie haben alle Gelübde ?
Ich hab das ganze Spektrum.
Palpung Kloster Das Kloster Palpung in IndienGelongma und Lama sind sozusagen die „Berufsbezeichung“?
Ja. Wir haben uns jetzt im Westen darauf geeinigt, das mit  „buddhistische Priesterin“ zu übersetzen. Da kann sich jeder ein bissl was darunter vorstellen, nicht viel, aber ein bissl.
Im Buddhismus gibt es tatsächlich weibliche Nonnen und Priesterinnen?
Man muss unterscheiden zwischen Gesellschaft und Religion. Innerhalb der Gesellschaft in Asien muss ich Ihnen nicht erzählen, wie schwierig es ist als Frau. In der asiatischen Gesellschaft ist weibliches Priestertum unüblich, dennoch ist es aber vorgesehen und von Anfang an dagewesen. Der Buddha hatte sowohl Mönche als auch Nonnen.
Und deswegen schickt seine Heiligkeit, der Dalai Lama, immer die westlichen Frauen nach vor, um solche Themen voranzutreiben. Wir haben da halt keine Hemmschwellen.
Es gibt ein paar westliche „Mädels“, die wirklich Gas geben, Konferenzen machen und dafür sorgen, dass die Gelongma-Ordination auch in den tibetischen Buddhismus hineinkommt.
In der allgemeinen Wahrnehmung sieht man aber immer nur buddhistische Mönche – also immer nur Männer.
Dalai Lama Privat-Audienz von Gelongma Lama Palmo beim Dalai LamaUnd deswegen brauchts dringend mehr Frauen. Das hört sich jetzt ein bisschen so an, als ob wir hier die aufmüpfige Partie wären (lacht). Aber es ist wirklich so, seine Heiligkeit, der Dalai Lama, hat gesagt:  „Wenn ihr das nicht in die Hand nehmt, geht nichts weiter. Weil unsere Frauen sind’s nicht gewöhnt, aufzustehen und zu sagen ‚Wir sind gleichberechtigt’. Also macht ihr das, bei euch ist das selbstverständlich."  
Eine Gelongma-Ordination bedeutet aber nicht automatisch Priesterschaft?
Nein. Das ist ganz anders als beim Christentum, deswegen hab ich es immer schwer, es zu erklären. Bei uns muss ein Priester weder ein Mönch noch eine Nonne sein. Und du bist nicht ein Priester, wenn du ins Priesterseminar gegangen bist, deine Zeit abgesessen und deine Prüfung bestanden hast, sondern wenn Leute, die spirituell mehr drauf haben als du, zu dem Entschluss kommen, dass du dich in einer Art und Weise entwickelt hast, dass du anderen maßgeblich dabei helfen kannst, sich spirituell zu entwickeln.
Was mich betrifft, ich habe alles vereint: Ich bin Nonne, ich hab das ganze Spektrum am monastischen Sektor und ich bin Lama – das heißt ich bin nicht nur Lama von der Ausbildung her, sondern auch Lama mit Verantwortung. Ich bin hierhergeschickt worden und soll die Gemeinschaft betreuen.
Es wird ja nicht viele buddhistische Priesterinnen in Österreich geben?
Lama Palmo betend Gelongma Lama Palmo betend mit buddhistischen Nonnen Ich bin die einzige. Ich bin die erste buddhistische Priesterin in Österreich und eine der ganz, ganz wenigen in Europa und weltweit sowieso.
Wie sind Sie als Wienerin eigentlich zum Buddhismus und zu Ihrer heutigen Berufung gekommen?
Ehrlich gesagt, ich habe in meiner Jugendzeit nichts ausgelassen. Ich hab einfach alles ausprobiert, was man ausprobieren kann  - um mit 20 dahinter zu kommen: Ich hab die Nase voll, jetzt muss was Vernünftiges her. Das war an der Uni, als ich Germanistik und Romanistik studiert habe. Im gleichen Jahr habe ich meinen späteren Ehemann kennen gelernt. Der hat mich das erste Mal zu einer buddhistischen Veranstaltung mitgenommen und da habe ich einen Lama getroffen. Eine einschneidende Begegnung! Aber ich habe mir dann ein paar Jahre Zeit gelassen und habe mir das aus der Distanz angeschaut und sehr lange überprüft.
Nach sieben Jahren des Zusammenlebens haben mein Mann und ich geheiratet und die Hochzeitsreise ist nach Sikkim gegangen, in die Klöster. Und da hat es dann gewaltig zum Brodeln angefangen! Und ein Jahr drauf war ich in Nepal unterwegs, um  für eine Tageszeitung einen Bericht über eine große buddhistische Zeremonie zu schreiben. Ich bin länger dort geblieben und hab in einem Kloster gelebt und da war mir klar: „Jetzt kann i nimmer anders. Jetzt  oder nie.“
Und was hat Ihr Mann dazu gesagt?
Der war natürlich vor den Kopf gestoßen, aber ohne sein Okay wäre es nicht gegangen. Er war bei der Veranstaltung in Nepal dabei und sagte später, als er mich in Nepal zurückgelassen hat, hat er gewusst, es war aus.
Sie sind dann bereits in der roten Robe nach Europa zurückgekehrt. War das nicht ein Schock für Ihre Umgebung?
Buddha-StatueMeine Familie hat es erst ein Jahr später erfahren. Das war wirklich schwer, es meiner Mutter zu sagen. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Aber alle anderen wussten es. Gleich nach meiner Rückkehr habe ich als erstes mein ganzes Hab und Gut verschenkt, inklusive der Seiden-Negligées (lacht). Ich hatte ja mit Zwanzig schon 70 Paar Schuhe!
Das ist jetzt wahrscheinlich eine sinnlose Frage, aber ich stelle Sie trotzdem. Vermissen Sie irgend etwas?
Nein!! (Lacht)
Und wie ist die Erinnerung an diesen Teil ihres Leben?
Strange, like a nightmare. Es ist, wie wenn man den Fernseher aufdreht und sich eine schrille abgedrehte Geschichte anschaut, so ungefähr kommt mir das vor. So getrieben, so unter Druck, erfolgreich zu sein ...
Ihr Stammkloster ist das Palpung-Kloster im Norden Indiens. Ist das ein Frauen-Kloster?
Nein, das ist kein Frauen-Kloster. Als ich vor 15 Jahren hin bin, war das auch ziemlich schwierig – als Westler und als Frau. Heute ist das schon viel einfacher. Im Kloster leben insgesamt zwischen 750 und 1.000 Leute, davon studieren ungefähr 250 an der Kloster-Uni. Da man in Indien ein Visum nur für ein halbes Jahr bekommt, habe ich zwar oft, aber immer nur für beschränkte Zeit im Kloster gelebt. Auch meinen 3-Jahres-Retreat habe ich deswegen in Amerika gemacht.
Bei diesem 3-Jahres-Retreat zieht man sich komplett aus der Welt zurück. Wie kann man sich das vorstellen?
Man verschwindet hinter verschlossenen Türen  und kommt nach 3 Jahren, 3 Monaten, 3 Wochen und 3 Tagen wieder raus.
Man lebt komplett abgeschieden in einem Retreat-Haus im Wald, in seiner Zelle und hat einen strikten Tagesablauf, der sehr früh anfängt und sehr spät aufhört und in dem man eine Vielzahl an Medidationstechniken und –praktiken durchläuft. Und zweimal am Tag kommt man in der Gruppe zusammen.
Wie groß war dort die Gruppe?
13 Frauen haben angefangen, 11 sind hinaus. 2 Frauen haben aufgehört, es war ihnen zu streng.
Kriegt man da, flapsig ausgedrückt, nicht irgendwann einen Koller?
Wenn ich hineingehe und nur mit mir selber beschäftigt bin, kann das leicht passieren. Weil alleine von der Räumlichkeit ist es eng und man sieht dreieinhalb Jahre die gleichen „Gsichter“. Wenn man reingeht, um danach ein großer Lama zu sein, geht’s nicht. Es funktioniert nur mit Mitgefühl und Hingabe. Man geht hinein mit der Ausrichtung: Ich mach das, damit alle fühlenden Wesen vollständig von Leiden befreit werden.
Waren Sie froh, als Sie wieder raus sind oder war das schwierig?
Wenn man mich gefragt hätte, was möchtest du tun, wäre ich sicher mein ganzes Leben da drin sitzen geblieben.
Alles, was nicht absolut notwendig ist, fällt weg. Wir haben dreieinhalb Jahre keine Zeitung, keine Nachrichten, kein Fernsehen gehabt. Als 9/11 passierte, haben wir nur den Auftrag bekommen, „special prayers“ zu machen. Wir erfuhren, dass Flugzeuge in die Tower geflogen sind. Aber was die Background-Geschichte dazu ist, wussten wir nicht.
Als ich herausgekommen bin, konnte ich kein Telefon mehr bedienen. Nach drei Jahren bist du einfach in einem anderen „space“.
Buch Lama Palmo Lama Palmos Buch mit einem Vorwort des Dalai Lama Haben Sie heute ein Handy?
Ja, ich muss. Aber nur drei Leute haben die Nummer und das ist mir schon zu viel (lacht).
Nach dem Retreat sind Sie 2004 vom Kloster nach Österreich geschickt worden, um hier als „Direktorin“ für Palpung Europa die Gemeinde zu betreuen. Dafür muss die Gemeinde komplett für Sie sorgen, sich um Essen, Wohnen, Sozialversicherung kümmern.
Ja. Die Gemeinde bemüht sich redlich. Aber zur Zeit kiefeln ja alle, wieso soll’s mir anders gehen. Trotzdem: Ich hab hundertprozentig Vertrauen darauf, dass wenn ich für andere etwas mach, für mich gesorgt ist.
Wie groß ist die buddhistische Gemeinschaft hier in Österreich?
Von den Menschen, die das wirklich ernsthaft betreiben, nicht so groß. Dann gibt’s natürlich einen riesengroßen Haufen von Leuten, die kommen und schnuppern und konsumieren bis zu einem gewissen Punkt. Und dann gehen sie wieder. Also es hat viel Laufkundschaft. Wir haben aber auch schon Außenstellen in Norddeutschland und Polen zum Beispiel.
Neben Ihrer Tätigkeit als Lama haben Sie gerade ein Buch über Tibet geschrieben und arbeiten an einem großen Projekt – einem Nonnenkloster. Wird es in Österreich das erste buddhistische Nonnenkloster des Westens geben?
Ja, ich hoffe. Ich habe sogar schon ein Objekt im Norden Österreichs gefunden, wo ich mir vorstellen könnte, dass es funktioniert. Jetzt geht es nur drum, das Geld aufzustellen: Das ist eine halbe Million, die ich auf Anhieb brauche.
In Europa und Amerika gibt es bis jetzt kein richtig großes Nonnenkloster und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es als Frau in Asien ist. Der Zentralpunkt dieses Projekts ist ein Nonnenkloster, aber das Ganze ist auch ein Klausur- und Retreat-Projekt. Wo man sich für einen Tag, drei Tage, drei Wochen oder was auch immer zurückziehen kann und betreut wird. Dann soll es natürlich auch 3-Jahres-Retreats geben. Und was ich gerne machen würde, ist ein interreligiöses Zentrum. Einen Platz schaffen, der offen genug ist, dass Dialog stattfinden kann. Wo es auch Angebote für Laien gibt und für Konfessionslose.
Und ich bin dann endlich ... zurück im Wald (lacht)!
Soll das Nonnen-Kloster auch die Stellung der Frauen im Buddhismus festigen?
Frauen sind im Buddhismus sowieso absolut gleichberechtigt. Nur die Gesellschaft hat Probleme damit.
Also in der Theorie wären Frau und Mann komplett gleich?
Absolut gleich. Denn wenn alle fühlenden Wesen das gleiche Potenzial, die gleiche Möglichkeit haben, Erleuchtung zu erlangen bzw. dieses Potenzial zu voller Blüte zu bringen - was muss ich mich dann um die Verpackung kümmern?
Von außen betrachtet sieht es aber nicht so viel anders aus wie beim Katholizismus, also ziemlich patriarchal geprägt.
Hm, nehmen Sie zum Beispiel die Geschichte mit den Reinkarnationen. Die Lehrer sagen, dass Lamas bewusst reinkarnieren. Die Lamas kommen in der Form zurück, in der sie so vielen Wesen wie möglich nutzen können – also männlich in einer männlich dominierten Gesellschaft. Das ist ja auch die Diskussion, die mit seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama geführt wurde. „Können Sie sich vorstellen, als Frau zurückzukommen“, wurde er gefragt. „Wenn mehr Nutzen da ist, als Frau zu kommen, werde ich das tun.“ , ist sein Antwort.
Dadurch, dass der Buddhismus im männlich geprägten Asien zu Hause ist und erst jetzt allmählich beginnt, hinauszugehen, ist es logisch, dass es auf der asiatischen Seite viele männliche Buddhisten gibt – und hier im Westen ganz viele Frauen sind. Eigentlich wird der Buddhismus hier im Westen wirklich von den Frauen getragen.

Sabine Maier

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