Frauen werden alt, Männer interessant
Christina Zurbrügg im Interview
Die Wahl-Wienerin Christina Zurbrügg ist Schauspielerin, Sängerin, Filmemacherin und Jodelcoach. Allen Projekten der gebürtigen Schweizerin gemein ist die Verbindung und Vermischung von Tradition und Moderne. Mit der StadtSpionin spricht sie über das Älterwerden, Narrenfreiheit in der Volksmusik, das unlustige Leben in der Schweiz und warum es für sie keine Alternative zu Wien gibt.
Christina Zurbrügg, Wahl-Wienerin, Filmerin und JodelcoachStadtSpionin: Sie sind Musikerin und Filmemacherin - gibt es einen Teil, der überwiegt?
Christina Zurbrügg: Die Musik überwiegt. Insbesondere das Jodeln. Aber die Bezeichnung Musikerin passt besser als Jodlerin, denn sonst glauben die Leute immer, ich würde nur jodeln. „Nur jodeln“ steht da natürlich unter Anführungszeichen. Allein Jodeln kann ja viel Verschiedenes sein.
Sie haben mehrere Spielfilme gemacht, einen Dokumetarfilm über die letzten Dudlerinnen von Wien und engagieren sich für die kommende Feier zu „100 Jahre Frauentag“. Ist Ihnen der Frauenaspekt immer wichtig?
Wenn ich schaue, was ich bis jetzt so gemacht habe, habe ich immer schon Frauenschwerpunkte gehabt, an dem ist mir sehr viel gelegen. Einfach auch, weil in der Öffentlichkeit viel mehr über Männer geredet wird als über Frauen.
Woran liegt das?
Ich würde schon einmal sagen, dass 95% der Veranstalter im Showbusiness Männer sind. Und wenn ich mir die Veranstaltungskalender anschaue, wer spielt wo - das ist eine derartige Männerdominanz. Das ist der eine Grund. Außerdem glauben Frauen nach wie vor, wenn sie etwas angehen: „Ich muss viel viel besser sein als ein Mann.“ Dass eine Frau in der gleichen Position wie ein Mann viel, viel mehr leisten muss. Und das ist in der Musik auch so. Es sind wirklich nur sehr wenige Frauen, die von A bis Z wirklich ihr Ding machen. Deswegen ist es mir wichtig, dass viele Beispiele gezeigt werden, wo Frauen ihren Weg gehen.
Ist das Jodeln nicht auch eigentlich eine Männerdomäne?
In der Schweiz war das die längste Zeit DIE Männerdomäne. So ein Club, ein Jodelclub, hat rein aus Männern bestanden. Das ist auch heute noch so, mit einigen Ausnahmen. Auf der anderen Seite sind in der Volksmusik verglichen mit Klassik oder Jazz die meisten Frauen vertreten. Dort gibt es auch ein bisschen mehr Narrenfreiheit. Überhaupt, wenn ich mir das Volkslied anschaue: Wer hat denn diese Lieder gesungen? Wiegenlieder und Arbeiterinnenlieder? Da steht jetzt immer „anonym“ dabei, aber das sind doch Frauenwerke!
Das Jodeln stirbt also auch nicht aus.
Es ist sehr im Trend sogar. Ich hab überhaupt das Gefühl, dass es gerade wieder entdeckt wird. Das ist eine neue Bewegung.
Zu der Sie auch einen Beitrag geleistet haben.
Ja, schon. Seit Jahren. Kontinuierlich und beharrlich. Ich stelle auch immer wieder fest, dass trotz aller Unterhaltungsmedien eine Sache unersetzlich ist: gemeinsam an einem Tisch sitzen und singen.
Der Film "Halbzeit" wurde nominiert für die Rose d'Or 2009 Haben Sie auch in Ihrem Dokumentarfilm „Die letzten Dudlerinnen Wiens“ gejodelt? Oder war das erst der Anstoß dazu?
Ich bin, ob ich es wollte oder nicht, aufgewachsen mit dem Jodeln. Mein Onkel hat gejodelt und im Dorf gab es einen Jodelclub. Das wäre damals für mich nie in Frage gekommen. Alles so konservativ! Der Film über Wiens Dudlerinnen war schon ein Moment der Zündung. Ich war dann so oft bei ihnen und sie haben gesungen und dann hieß es plötzlich: „Du bist ja eine Schweizerin, du singst ja auch, jetzt sing du einmal.“ Wir wurden quasi Verschworene, die etwas Gemeinsames tun.
Sie bezeichnen sich selbst als „Sprachkosmopolitin“ und Sie singen auch viel in Spanisch.
Ja, weil ich lange Zeit in Südamerika war. Und die Mehrsprachigkeit liegt auch einfach an meiner Schweizer Vergangenheit. Das ist auch etwas, was mir hier oft fehlt. Die Sprachen, die in Wien gesprochen werden, die kann ich alle nicht. Ich kann keine slawische Sprache, kein Türkisch, kein Ungarisch.
Aber trotzdem sind Sie in Wien geblieben.
Ich muss sagen, ich hab lang gehadert mit Wien. Aber die Vorteile haben letzten Endes immer überwogen. Vielleicht ist das auch etwas, das ich mit dem Älterwerden immer mehr sehe: eine Stadt mit hoher Lebensqualität. Ich hab nie Angst in Wien, es ist eine sichere Stadt.
Und das Ländliche, ein Leben in den Bergen, wäre nichts für Sie gewesen?
15 Jahre Bergbauerndorf! Ich geh auch immer gern aufs Land, ich brauch das auch, aber leben möchte ich dort nicht. Ich habe keine Illusionen über Landidylle, ich weiß, wie dort jeder über jeden tratscht. Nein, ich bin sehr, sehr zufrieden unter Menschen zu leben. Und einfach auch diese Wahl zu haben: Wenn ich mich zurückziehen will, dann kann ich in meine Wohnung und hab meine Ruhe; wenn ich hinausgehen will, kann ich hinausgehen.
Ausschnitt aus dem Film "Bleiben oder gehen"
Wohin gehen Sie denn hinaus, was sind Ihre Lieblingsplätze in Wien?
Ich habe ganz lang in Ottakring gelebt und das habe ich wirklich heiß geliebt. Diese Mischung zwischen Vorstadt und Multikulti: der Brunnenmarkt, die Heurigen, das Schloss Wilhelminenberg... Seit einem Jahr wohne ich jetzt im siebten Bezirk und ich muss sagen, den mag ich auch sehr. Zuerst dachte ich, wenn ich im Zentrum wohne, da wird alles anonymer sein. Aber ich musste feststellen: Alle kennen alle. Die Neubaugasse ist wie eine Dorfstraße. Ich geh auch gerne spazieren, zum MQ runter. Mir gefällt das gut, diese Mischung von der alten Wiener Architektur und der modernen Architektur. Das ist Weltstadtflair. Das gibt mir ein gutes Gefühl.
Ein Gefühl von Heimat?
Schon. Auch dieses Gefühl, dass Altes und Neues gut miteinander zusammen passt. Letztendlich mache ich auch nichts anderes in meinen Projekten: ich mag nicht Tradition verherrlichen, denn das Leben früher war sicher nicht immer besser, schöner, feiner als jetzt. Aber ich möchte das Gute nehmen von dort und in unsere Zeit bringen und schauen, wie wir gut leben können damit. Aber früher hab ich oft gedacht: „Wien ist zu konservativ und zu konventionell.“
War dann nicht manchmal der Wunsch, weg zu gehen?
Natürlich. Bleiben oder gehen? Die meiste Zeit war das die Frage. Aber es gab eigentlich nie eine gleichwertige Alternative zu Wien. Ein weiterer Grund ist natürlich auch, dass ich so viele Freunde und Freundinnen hier habe. Und in die Schweiz zurück zu gehen? Undenkbar!
Warum undenkbar?
Zu unlustig. Ich war jetzt auch wieder einige Male dort für Filmprojekte und war jedes Mal begeistert, wie schön die Schweiz ist. Landschaftlich. Aber dort leben, jeden Tag dort aufstehen? Nein. Es ist schon viel steifer das Leben in der Schweiz, viel geregelter. In Österreich läuft vieles auch so ein bisschen schlampiger, nicht alles ist so ganz straight. Manchmal hat es mich auch wahnsinnig gemacht, weil ich mir gedacht habe: Geh bitte, sagt einfach ja oder sagt einfach nein. Und nicht immer dieses „wir werden mal schauen.“ Mittlerweile kann ich’s auch so nehmen wie es ist.
In Interviews mit Ihnen wird häufig betont, dass Sie nicht über ihr Alter sprechen wollen. Warum eigentlich?
Wird das so betont? So ein Tamtam muss ich auch nicht machen um mein Alter. Ich weiß, dass mich irgendwann einmal eine Frauenzeitschrift nach einem Gespräch über das Alter plötzlich 10 Jahre jünger gemacht hat.
War das ein Missverständnis?
Nein, das war wohl Absicht. Aber warum sollen alle jung sein? Das hat mich dann schon irgendwie geärgert. Ich habe auch schon Interviewabsagen bekommen mit der Begründung, ich sei zu alt. Und später sieht man dann Männer, die in der gleichen Fernsehsendung sind, die sind nicht zu alt!
Auch ein Punkt, wo Frauen es schwieriger haben.
Absolut! Dieser Stress! Dass man jetzt überall Anti-Age draufschreibt. Wenn, dann will ich mit-altern, aber nicht gegen-altern.
Aktuelles Konzert in Luxemburg Gibt es außer dem Alter noch andere Bewertungskategorien, denen man sich als Frau aussetzen muss?
Ich hab Glück, ich bin da in einer Nische mit den Dingen, die ich mache. Ich arbeite meistens mit ganz besonders aufmerksamen Menschen zusammen. Aber sicher ist im Showbusiness das Alter ein Thema. Und ganz besonders ein Frauenthema. Frauen werden alt und Männer werden interessant. Und deswegen ist es mir eben schon wichtig, dass die Taten und die Werke bewertet werden - und nicht wie alt jemand ist, oder ob jemand gut ausschaut.
Und wie alt sind Sie denn nun?
Ich werde 50. Der Trend entwickelt sich ja zurzeit dahin, dass wir alle endlos jung sein sollen und endlos leben. Das Wesen von Leben ist aber, dass wir vergehen. Und irgendwann sterben wir sogar. Aber darüber spricht man ja schon gar nicht. Ein großes Tabuthema. Gerade in meinem Alter.
Mit solchen Themen kann man sich ja auch künstlerisch gut auseinander setzten.
Ja, deswegen glaube ich auch, dass es wichtig ist, sich mit 50 hinzustellen und zu sagen: Das Leben ist fein!
Sarah van den Berg (Februar 2011)
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