Frauen gehen mehr zu Fuß als Männer
Petra Jens im Interview
Seit Jänner ist sie die oberste Fußgängerin der Stadt: Die 36-jährige Petra Jens ist Wiens erste Fußgängerbeauftragte. Jens studierte an der BOKU, war als Bildungsreferentin bei der Evangelischen Diakonie tätig und setzt sich nun gemeinsam mit ihrem Team für die Anliegen der Wiener FußgängerInnen ein. Mit der StadtSpionin sprach die dreifache Mutter, die politisch bereits 2006 mit einer Aktion gegen Hundekot für Furore sorgte, über fehlenden Respekt auf Wiens Straßen und Ideen, die im Gehen entstehen.
StadtSpionin: Sie sind Wiens Chef-Fußgängerin. Mit welchem Schuhwerk marschieren Sie durch Ihren Arbeitsalltag?
Petra Jens: Mit Waldviertler Schuhen! Die halten wirklich jedem Härtetest stand!
Ganz ohne Stolpersteine war auch der Weg in Ihren neuen Job nicht. Im Vorfeld wurde der Posten einer Fußgängerbeauftragten als unnötiger politischer Schachzug kritisiert. Braucht Wien denn tatsächlich eine Fußgängerbeauftragte?
Ja! Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Autofahrer haben starke Interessensvertretungen, Radfahrende mittlerweile auch. Für Gehende gab es das bis jetzt nicht in Wien. Wir sind die erste Stelle, die für das Zufußgehen Lobbying betreibt.
Seit Anfang Jänner sind Sie nun mit Ihrem kleinen Team Stellvertreterin der Wiener FußgängerInnen.
Ja, wir haben Expertinnen für verschiedene Gebiete, zum Beispiel für Barrierefreiheit oder Gender.
Gender? Gibt ’s denn beim Gehen geschlechtsspezifische Unterschiede?
Klar! Erstens gehen Frauen mehr zu Fuß als Männer. Und bei Frauen kommt noch das große Thema „Angsträume“ dazu. Also Orte, die schlecht ausgeleuchtet sind , wo Frauen sich unsicher fühlen und dann auf andere Mobilitätsformen umsteigen. Das muss verbessert werden.
Sind die WienerInnen eigentlich passionierte FußgängerInnen?
Ja, das Zufußgehenist seit letztem Jahr schon mit einem größeren Anteil vertreten als das Autofahren. Etwa ein
Das sagt die Statistik: Bereits 28 Prozent der
WienerInnen
sind FußgängerInnen - Tendenz
steigend. (APA-Grafik)Drittel der Wege, die in Wien zurückgelegt werden, werden mittlerweile zu Fuß unternommen.
Womit erkläre
n Sie sich die hohe Fußgänger-Rate in Wien?
Wien ist eine Stadt der kurzen Wege. Das heißt: Wohnorte, öffentliche Verkehrsknotenpunkte, Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsplätze liegen recht nah beieinander. Gehen macht in Wien einfach Sinn. Oft ist es sogar schneller, als lange auf die Straßenbahn zu warten.
Gehen boomt. Wodurch wollen Sie noch mehr WienerInnen die Fortbewegung auf zwei Beinen schmackhaft machen?
Zum Beispiel mit Flaniermeilen. Wir planen besonders gut ausgestattete Hauptrouten: mit Sitzgelegenheiten in zuverlässigen Abständen, Toilette-Anlagen, Trinkbrunnen, mit Orten, wo man Kinder ungestört spielen lassen kann. Das werden Zonen sein, die zum Verweilen einladen.
Sie arbeiten auch an einem großangelegten Stadtplan für FußgängerInnen?
Ja. Nach dem Vorbild anderer großer Städte möchten wir in Wien ein Leitsystem zur besseren Stadt-Orientierung etablieren. Damit die Zufußgehenden wissen: Wie lange brauche ich gehend von A nach B? Wie komme ich am schnellsten und sichersten an mein Ziel?
Naja, Sicherheit ist für FußgängerInnen als schwächste Gruppe von Verkehrsteilnehmenden ja oft keine Selbstverständlichkeit.
Dabei haben wir in Wien schon jetzt ein sehr gutes Angebot an Regulierungen! Wir haben viele Extraspuren für die verschiedensten Bedürfnisse und für verschiedenste Verkehrsteilnehmende. Das ist wirklich schon bis zu einem großen Teil ausgereizt. Was wir jetzt lernen müssen ist, wie alle Parteien die vorhandene Fläche gut miteinander teilen.
Ungeduldiges Hupen, laute Beschimpfungen: Ist die fehlende Rücksichtnahme das eigentliche Problem auf Wiens Straßen?
Teilweise sch
Alle Zeichen auf Grün: Petra Jens kümmert sich als Fußgängerbeauftragte um die Anliegen der Wiener FußgängerInnen.on. Sehen Sie sich doch nur südlichere Städte an! Da funktioniert das einfach besser. Und das, obwohl der Verkehr oft viel stressiger ist und die Fußgänger-Qualitäten aus technischer Sicht längst nicht auf unserem Standard sind. Die Leute gehen anders miteinander um. Man kommunziert mehr und wenn jemand hupt, dann heißt das: Pass auf, ich hab dich gesehen! Es wird weniger Energie damit verschwendet, auf sein Recht zu pochen.
Aber wie kann man die täglichen Kleinkriege auf Wiens Straßen denn minimieren?
Mit gezielten Kampagnen, Aufklärung und Bewusstseinsbildung. Es gibt unglaublich viele Missverständnisse zwischen den Parteien.
Wo passieren solche Missverständnisse beispielsweise?
Ganz klassisch: bei der sogenannten Räumphase. Das ist die Zeit nach dem Ende der Grünphase, in der FußgängerInnen noch ungestört über die Straße gehen dürfen. Viele FußgängerInnen wissen das nicht und hetzen über die Straße und die Autofahrer ärgern sich, weil sich die FußgängerInnen in ihren Augen nicht an die Regeln halten.
Ein Teufelskreis...
Ja, und der spinnt sich auch zwischen Radfahrenden und FußgängerInnen fort. Viele Radfahrer fühlen sich auf der Fahrbahn ängstlich und weichen auf den Gehsteig aus. Die schwächeren VerkehrsteilnehmerInnen sammeln sich dann alle auf der Fläche Gehsteig.
Der Gehsteig war ja auch immer schon ein schützender Raum, der das Recht der Schwächeren auf einen eigenen Raum bezeichnet hat.
Tja, werfen Sie nur einen Blick auf die Prater Hauptallee oder die Ringstraße: Da ist in der Mitte eine Spur für die Wägen, dann die Spur für die Reiter und dann erst ganz außen die Spur für die FußgängerInnen. In Wien hat es nie eine Kultur des fairen Teilens von öffentlichem Raum gegeben. Das war immer schon eine Frage von Dominanz. Deshalb möchte ich, dass wir lernen, unseren öffentlichen Raum – der ja ein sehr wertvolles Gut ist – fair zu teilen.
Bleiben wir doch kurz auf geschichtlichem Terrain: Lange galt der Flaneur, der Fußgänger in der Großstadt, als romantisches Idealbild. Beim Umherschlendern entstehen seine Ideen. Bringt Gehen Gedankenprozesse in Gang?
Das glaub ich schon, ja. Schon die alten Griechen dachten, dass man im Sitzen nichts lernen kann. Die sind dann im Gehen mit den Schülern durch die Gänge gewandelt.
Wie ist das bei Ihnen, haben Sie gehend schon viele Entdeckungen gemacht?
Natürlich! Die wichtigste Entdeckung ist die Begegnung mit anderen Menschen. Also wenn man geht und ein bisschen Zeit hat, kann man auf andere Menschen eingehen und ein kurzes Gespräch führen. Das funktioniert nur gehend, nicht vom Rad oder vom Auto aus.
Im Gehen ändert sich auch die Perspektive auf eine Stadt.
Ja, man entdeckt vieles, weil man überall anhalten kann. Also wenn man im Moment in Floridsdorf unterwegs ist, sieht man etwas Ungewöhnliches: Die ganze Franklinstraße ist bestrickt worden!
Haben Sie noch weitere Tipps für’s Stadtwandern, gibt’s eine persönliche Lieblingsroute?
Ich find es immer wahnsinnig toll, am Wasser entlang zu gehen. Ich wohn ja in Floridsdorf und quere täglich immer viele Brücken. Und da sehe ich im Vorbeigehen Wasservögel und ganz früh schwimmt sogar der Biber vorbei. Wege am Wasser haben für mich einen ganz besonderen Reiz.
Sie wohnen mit Ihren drei Kindern und Ihrem Mann in einer autofreien Siedlung in Floridsdorf. Die Wiener Umwelt ist Ihnen wichtig, das haben Sie schon 2006 gezeigt, als Sie für die Aktion Erholungsort Gehsteig: Petra Jens in der ungewöhnlich bestrickten Floridsdorfer Franklinstraße.“Eltern gegen Hundekot” 150.000 Unterschriften sammeln konnten.
Das Thema Hundekot hat mich und viele andere damals sehr betroffen. Da hab ich mir gedacht: Es kann doch nicht so schwer sein, dieses Problem zu lösen! Und siehe da, seither ist viel passiert. Die Kampagne “Nimm ein Sacker für dein Gackerl” wurde gestartet – seither sind Wiens Straßen sauberer.
Apropos Familie: Wie schaffen Sie es, den stressigen neuen Job mit dem Familiären in Einklang zu bringen?
Ich hab das Glück, dass ich von meiner Familie sehr viel Unterstützung erfahre. Wenn jeder ein bisschen anpackt, dann geht das schon. Bei uns hat jeder seinen Aufgabenbereich und da sehe ich dann: Ich muss nicht alles selber machen. Man kann auch Verantwortung übertragen.
Verantwortung, nämlich Verantwortung für die Umwelt, ist ja auch ein ganz zentraler Aspekt in Ihrem Job.
Ja, gehen ist ökologisch sinnvoll – und gleichzeitig ein Stück Erholung vom Alltag. Wir haben in Wien ein sehr großzügiges Grünraumnetz und es ist durchaus möglich, sich auch mit einem kleinen Zeitbudget diese Erholung zu gönnen. Das würde bestimmt zum Stressabbau in der Großstadt beitragen.
Abschließend: Haben Sie eine große Vision für die Fußgängerstadt Wien vor Augen?
Die große Vision, die mir vorschwebt, das ist ein öffentlicher Raum, der von allen genutzt wird, wo sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und sozialer Schichten auf Augenhöhe begegnen. Das ist ein öffentlicher Raum, wo man guten Gewissens sowohl ein 8-jähriges Kind als auch einen 80-jährigen Menschen allein unterwegs sein lassen kann.
Ein schönes Stadt-Bild...
Ja, das wäre dann eine Stadt, in der das menschliche Maß im Mittelpunkt steht.
Barbara Moser
(Februar 2013)
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Fotocredits:
Portrait Petra Jens
PID/wien.at
Ampel: Gabi Schoenemann/pixelio.de
KONTAKT
Petra Jens
Beauftragte für FußgängerInnen
Mobilitätsagentur Wien
Lienfeldergasse 96
1170 Wien
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Petra Jens, Fußgängerbeauftragte
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