Stadtgespräch

Für die Kunst bin ich zu politisch

Ulli Gladik im Interview

Für ihren Film „Inland“ wurde Ulli Gladik (49) als zweite Frau mit dem Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm ausgezeichnet. Auf Augenhöhe hat die gebürtige Steirerin FPÖ-WählerInnen vor die Kamera geholt mit der Intention, sie zu verstehen. Die StadtSpionin sprach mit der Filmemacherin über grüne Kichererbsen, Wiener Schmäh und über prekäre Arbeits-Verhältnisse.

Ulli Gladik Portrait
Regisseurin Ulli Gladik
StadtSpionin: Frau Gladik, Sie sind erst die zweite Frau, die mit dem Preis ausgezeichnet wurde. Ihre Vorgängerin, Ruth Beckermann, ist über die Grenzen hinweg als politische Dokumentaristin bekannt. Wie sehen Sie sich als Filmemacherin?
Ulli Gladik: Ich habe ja ursprünglich Malerei studiert und davor künstlerische Fotografie bei Friedl Kubelka. Während eines Auslands-Semesters in Bulgarien habe ich dann aber meine erste Kurz-Doku über Müllsammler gedreht und bin drauf gekommen, dass mir das Medium Film mehr taugt. Ich bin einfach zu politisch für die Kunst. Zumindest dachte ich das damals. Mit Filmen hoffte ich mein Interesse für Politik und Gesellschaft besser umsetzen zu können als mit Bildern oder Fotos.

Welche Bedeutung hat der Preis nun konkret für Ihre Arbeit?
Filme machen ist ein hartes Brot, vor allem wenn es darum geht, einen Film ausfinanziert zu bekommen. Der Preis bestärkt mich darin, ein angemessenes Budget für mein nächstes Projekt zu erkämpfen und macht das hoffentlich auch leichter.

Stichwort Budget-Kampf. Sie schreiben ab und zu für Zeitungen wie den Augustin, sind im wesentlichen aber Dokumentarfilmerin. Wovon leben Sie?
Bisher habe ich unter allergrößter Selbstausbeutung mit kleinen Budgets gearbeitet. Es ist ein ständiges Auf und Ab – mal kommt eine Förderung, mal ein Preis –  es ist immer gerade genug zum Weitermachen. Ich habe zwei meiner Filme selber produziert, so bleibt mir ein Teil der Einnahmen und ich hab auch oft selber Kamera gemacht, damit uns das Geld nicht schon vor Drehende ausging. Außerdem habe ich endlich gelernt, angemessene Honorare zu verlangen, wenn ich zu Vorträgen eingeladen werde.

Wir Frauen denken oft zu klein

Aber Ihre bisherigen Filme, etwa die Konsumkritik „Global Shopping Village“, waren doch sehr erfolgreich, vor allem was die Besucherzahlen betrifft?
Ja, trotzdem wurde mir der Zugang zu größeren Fördertöpfen bislang verwehrt. Vielen Kolleginnen geht es genauso.

Filmstill Cafe Florida, Film Inland
Filmstill aus "Inland"
Kann die Interessensvertretung der Filmfrauen, FC Gloria, da nicht helfen?
Als Netzwerk ist das ideal, um uns gegenseitig zu bestärken und zu sehen, wie divers wir aufgestellt sind. Es wird aktuell um die Gleichstellungs-Novelle im Österreichischen Filminstitut gekämpft, um der Unterrepräsentanz von Frauen entgegenzuwirken. Da tut sich schon was.


Aber an der Filmakademie studieren doch gleich viele Frauen wie Männer?
Ja, aber sie kommen dann im Filmschaffen nicht in dem Ausmaß an. Oft liegt es sicher auch daran, dass wir Frauen zu klein denken und automatisch nur Mittel aus den kleinen Fördertöpfen beantragen.

Apropos klein: in Ihrem Film „Inland“ geht es um Menschen, die in den vergangenen Jahren mit dem Label „die kleinen Leute“ versehen worden sind, FPÖ-Wähler aus den unteren Einkommens-Schichten. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit dem rechten Wähler-Spektrum zu beschäftigen?
Ich wollte ganz persönlich wissen und verstehen, was der Boden ist, auf dem eine FPÖ-Propaganda gedeihen kann. Und bin draufgekommen, dass viele Menschen, die die FPÖ wählen, unter Existenzängsten, Abstiegsängsten oder schlicht unter dem Gefühl nicht mehr gesehen und vertreten zu werden, leiden.

Das heißt, ohne das Grundvertrauen der Menschen zu stärken, ist eigentlich keine gesunde, die Menschen verbindende Politik zu machen?
Genau, außerdem entstehen bei Menschen, die mit ihrem Leben nicht zufrieden sind, Neid und Angst. Das betrifft ja nicht nur die Österreicher. Bei den FPÖ-Veranstaltungen hören auch Migranten zu. Ich habe viele Gespräche mit Türken geführt, die blau wählen, weil sie mit den nachgekommenen Syrern konkurrieren. Meine Protagonisten im Film sind aber größtenteils ehemalige SPÖ-Wähler, denen das Ethos des „Wir sind wer, wir gehören zusammen“ abhanden gekommen ist. Das alte Aufstiegs-Versprechen funktioniert nicht mehr. Und die Gemeindewohnungen bekommen die, die am schlechtesten verdienen – das sind dann eben oft Migranten.

Von Kichererbsen und Halbkreis-Ingenieuren

Ulli Gladik
Ulli Gladik erhielt Ende Januar den Österreichischen Filmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm.
„Ulli Film“ – ihr Studio – ist in einem 50erJahre-Wohnbau untergebracht, der nach einem christlichsozialen Politiker benannt ist. Wie halten Sie’s denn persönlich mit der Politik?
Ich gehöre keiner Partei an, aber sicher dem linken Spektrum. Auch wenn ich vieles, was als links bezeichnet wird, nicht gut finde. Die derzeitige Regierungsbeteiligung der Grünen sehe ich sehr kritisch. Der Film war für mich ein wichtiger Schritt aus meiner eigenen Blase heraus.

In „Inland“ witzelt der Protagonist Alex über die „grünen Kichererbsen“, weil seine Freundin Grün-Wählerin ist. Könnten Sie sich vorstellen, mit einem FPÖ-Sympathisanten zu leben?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Meine bisherigen Partner waren mir politisch immer sehr nah. Natürlich kommt es darauf an, wie sehr man politisch interessiert oder aktiv ist. Wenn das keine große Rolle im Leben spielt, macht es vielleicht nicht so viel aus. Ich kenne schon Leute, die in einer rot-grünen Partnerschaft leben.

Die Blau-Wähler in ihrem Film tun sich schwer, zu erklären, was der Grund ihrer Skepsis gegenüber Ausländern ist. Sind sie Argumenten gegenüber zugänglich?
Argumentation ist eine Sackgasse, das hab ich bald gemerkt. Erst wenn ich lange genug zugehört habe, ohne meinen Senf dazuzugeben, war ein Gespräch möglich. Mit intellektueller Besserwisserei ist niemand zu erreichen.

Wie ist das auf der menschlichen Ebene, im direkten Kontakt mit Fremden?
Herr Chalupecky aus meinem Film geht ganz selbstverständlich zum türkischen Friseur, weil keiner so gut schneidet wie die Türken, sagt er, und weil’s billiger ist. Auch im „Florida“, einem Espresso auf der Ottakringer Straße, in dem ich viel gedreht habe, saßen eines Tages die Frauen um den Tisch um zu überlegen, wie sie einer Zuwanderin helfen können, der die Abschiebung droht. Das ist halt jemand den sie kennen, da gelten die Zuschreibungen nicht.

ulli gladik prateralm
Ulli Gladik beim Dreh zu ihrem preisgekrönten Film
Sie selbst sind in einer steirischen Kleinstadt aufgewachsen und nach dem Studium in Wien geblieben. Das ist ja nun schon eine ganze Zeit her. Sind Sie Wienerin oder Steirerin?
Schon beides. Bei der Recherche zu „Inland“ hab ich aber gemerkt, wie wenig Ur-Wienerin ich doch bin. In den Arbeiterbezirken musste ich mir immer wieder Ausdrücke erklären lassen. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass die „Ziegelböhm“ früher ein sehr schlechtes Image hatten. Oder „Halbkreis-Ingenieur“ – den Begriff kannte ich überhaupt nicht. Der stammt aus dem „Florida“ und steht für MA48-Mitarbeiter, wegen der typischen Bewegungen beim Kehren.

Waren die vielen Stunden in Vorstadt-Beisln, die ja sonst nicht gerade zu Ihrem erweiterten Wohnzimmer gehören, nicht sehr anstrengend?
Gar nicht. Ich hab das genossen. Es gibt da wirklich einen leiwanden Schmäh und viel Absurdes und Schräges mit großer Emotionalität dahinter.

Was war denn das emotionalste Erlebnis während des Drehs?
Das waren schon diese Veranstaltungen am Viktor-Adler-Markt. Da wird eine Politik der Gefühle gemacht, die unglaublich mitreißt. Da werden billigere Wohnungen und höhere Löhne versprochen. Die Leute weinen, wenn sie zusammen „Immer wieder Österreich“ singen. Und ich bekam während der Recherche sehr viele traurige und bewegende Lebensgeschichten zu hören.

Ulli gladik
Sie kommen ihren Protagonisten im Film sehr nah. Man merkt die gegenseitige Sympathie. Haben Sie eigentlich noch Kontakt?
Wir telefonieren manchmal oder schreiben uns. Als ich den Filmpreis bekommen hab natürlich und auch als „Ibiza“ passiert ist. Wäre das Café „Florida“ ums Eck, würde ich sicher auch jetzt noch öfter hingehen. Das ist schon ganz speziell. Es verkehren viele Frauen dort, unglaublich liebe Leute und es ist sehr familiär.

Seit dem Kinostart von „Inland“ ist bald ein Jahr vergangen. Aktuelle Screenings finden häufig im roten Umfeld statt. Ein Lehrfilm für die SPÖ?
Es ist schon so, dass die SPÖ einen Spiegel vorgehalten bekommt. Der neoliberale Umbau der vergangenen Jahrzehnte hat tiefe Wunden geschlagen und die Leute fühlten sich zumindest bis zum Ibiza-Skandal von der FPÖ am ehesten vertreten. Fünf Prozent der Blau-Wähler sind danach zu Kurz gewechselt, weitere fünf Prozent gingen nicht mehr zur Wahl. Solange es da kein gscheites Gegenangebot gibt, wird das wohl so bleiben.

Und wie reagiert das sozialistische Publikum?
Manchmal wird durchaus kritisch reflektiert. Andere SPÖler meinen nur: „Ohne uns würde es noch viel schneller schlechter werden“. Das stimmt sicher, aber damit kann man natürlich keine Wähler halten.

Was wünschen Sie sich denn politisch für Wien und für Österreich?
Ich hoffe auf eine neue Partei, nein viel mehr eine Bürgerbewegung, die aus der Basis kommt. Aber ich fürchte, dafür geht’s den Leuten hier noch zu gut. Solange Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle mit Geldern versorgt sind, werden sie sich nicht formieren. Und die FPÖ und Kurz versorgen viele Leute einstweilen weiter mit ihren Parolen.

( Angelika Burgsteiner, März 2020 )

Filme von Ulli Gladik:

Inland – Begegnungen jenseits der Spaltung (2019) Web

Global Shopping Village – Endstation Kaufrausch (2014) Web

Natasha – Doku über das Leben einer bulgarischen Bettlerin (2008) Web


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