Das Brotbacken hat mich gelehrt, dass "nebenbei" nicht geht
Barbara van Melle im Interview
Sie war 25 Jahre beim ORF, wurde dann zur Slow Food-Botschafterin, schrieb ein Buch über den „Duft von frischem Brot“ und veranstaltet seit 2016 einmal jährlich das erste und einzige heimische Brot-Festival. Der neueste Streich von Barbara van Melle ist ein eigenes Brotback-Atelier im 4. Bezirk, in dem regelmäßig Workshops rund ums Backen stattfinden. Mit der StadtSpionin spricht die vierfache Mutter über ihren Weg von der Journalistin zur Unternehmerin, die Herausforderungen einer Working Mum und ihren Beitrag zur Brot-Revolution.
StadtSpionin: Im Frühjahr findet zum 3. Mal das von Ihnen initiierte und von Anfang an sehr beliebte Brot-Festival „Kruste & Krume“ statt. Wie ist eigentlich die Idee dazu entstanden?
Barbara van Melle:
Angefangen hat es mit meinem Buch „Der Duft von frischem Brot“, in dem ich ja der Frage nachgegangen bin, was mit dem Bäckerhandwerk passiert ist, weil jedes Jahr 60 Bäcker zusperren. Für die Porträts über die Helden in der Backstube im Buch hab ich viel Zeit bei Bäckern verbracht, habe selber das Brotbacken gelernt und bin drauf gekommen, dass es eigentlich keine Plattform für die Bäcker gibt. Die Idee war also nicht nur, Konsumenten das Bäckerhandwerk vorzustellen, sondern vor allem, Bäcker aus ganz Österreich miteinander zu vernetzen. Und das hat toll funktioniert! Die Bäcker schauen einander auf die Stände und sehen, was weggeht wie die warmen Semmeln. Und wenn ein Stand innerhalb von 4 Stunden ausverkauft ist, wie beim Dietmar Kappl, dann regt das zum Nachdenken an und inspiriert.
Sie haben eben Wiens erstes Brotback-Atelier eröffnet, wo Sie Workshops für Back-Neulinge, aber auch für Profis anbieten. Was war Ihre Motivation mit 58 Jahren noch „Jungunternehmerin“ zu werden?
Ja, ich bekomme tatsächlich auch eine Jungunternehmerförderung (lacht). Schon beim ersten Kruste&Krume-Festival gab’s die ersten Workshops, und im zweiten Jahr im Kursalon waren die Workshops online in ein paar Stunden ausgebucht. Die Nachfrage war also riesig! Und dann wurden Simon Wöckl und ich öfter für Workshops gebucht, und es war so schwierig in Küchen Brot zu backen, die nicht darauf ausgerichtet sind. Wir mussten viel an Equipment mitnehmen, das war logistisch unglaublich anstrengend. Geschweige denn die Mehle und Vorteige! So entstand der Wunsch, einen eigenen Platz zu haben, wo auch die ganze Infrastruktur da ist. Aber so etwas ist dann natürlich eine große familiäre Entscheidung, allein die Verschuldung.
War das Finanzielle dann auch Ihre größte Hürde am Weg zum Back-Atelier?
Ja, der Schritt Unternehmerin zu werden, mit vollem Risiko, mit Förderkredit und Einreichen bei der Wirtschaftsagentur und allem, was dazu gehört, war schon enorm. Aber jetzt haben wir diesen Ort so gern und wir sehen, dass der Bedarf groß ist. Wir machen Einsteigerkurse um 90 Euro und finden diese wahnsinnig wichtig. In drei Stunden kann man wirklich vermitteln, wie ein echt gutes Roggenbrot gebacken werden kann. Nicht alle wollen in 200 Euro-Ganztageskurse gehen, aber die bieten wir schon auch an.
Harmonische Back-Partnerschaft: Barbara van Melle und Bäckermeister Simon Wöckl Die Workshops halten Sie großteils gemeinsam mit Ihrem Geschäftspartner, dem 26jährigen Bäckermeister Simon Wöckl. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit, wie haben Sie sich eigentlich gefunden?
Beim Kruste&Krume-Festival! Simon gehört übrigens zur Gruppe der Schneckenbäcker – die haben alle 5 ein eintätowiertes Slow Food-Schnecken-Logo am Knöchel. Ich bin aus tiefstem Herzen dankbar, dass wir beide so gut gemeinsam arbeiten können. Wir ergänzen uns gut – Simon ist das Backen mit Profi-Geräten gewohnt, studiert Agrarwissenschaft, kennt sich gut mit Mehlen aus, und ich bin quasi die „Hausfrau“, die weiß welche Möglichkeiten es in der Küche zuhause gibt. Einziges Problem: Im Sommer bewirtschaftet Simon 4 Monate eine Alm in Südtirol – ohne Handyempfang (lacht). Da muss ich dann zu ihm in die Berge steigen, wenn es etwas zu besprechen gibt. Dafür backen wir auf der Alm gemeinsam Holzofenbrot, herrlich!
Ihr Brotback-Atelier liegt in der Heumühlgasse im historischen Mühlen-Viertel, wo früher der Mühlbach durchfloss. Ist das ein netter Zufall oder war es Ihr Wunschplatz?
Es gibt ja keine Zufälle! Die Dinge fügen sich, wie sie sich fügen sollen. Ich habe schon eine Weile gesucht, dann hat mir eine Freundin erzählt, dass die Räumlichkeiten des thailändischen Fremdenverkehrsbüros frei werden. Dass dieses in einer von seiner Geschichte so passenden Umgebung liegt, hab ich erst dann herausgefunden. Ich komme jetzt immer von der U4 Kettenbrückengasse und gehe über die historische Heumühle hierher, das ist so toll!
Ein Teil Ihres Projekts wurde via Crowdfunding finanziert. Wie hat das geklappt und wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen damit?
Ambivalent! Es war wahnsinnig aufwändig. Wir mussten zum Beispiel ein professionelles Video produzieren, haben zu zweit vor Weihnachten 260 Pakete an Unterstützer verschickt, und und und. Wenn man da die investierte Zeit einrechnet, kommt am Ende nicht mehr so viel raus, wie man in Summe lukriert hat – in unserem Fall 30.000 Euro.
Viele kennen Sie noch als ORF-Moderatorin. Wie kam es zu Ihrem Ausstieg vom Sender?
Ende 2009 bin ich nach 25 Jahren ausgestiegen, eine ganz typische ORF-Geschichte. Ich war lange in der Wissenschaftsredaktion, habe „Thema“ moderiert, aber auch immer viel Redaktion gemacht. Und dann bin ich nicht ganz freiwillig in die Unterhaltung gewechselt, konnte aber in meiner Sendung „Schöner Leben“ das tun, was ich immer gern gemacht habe wie kochen oder Produzenten einladen. Die Sendung lief extrem gut, dennoch wurde sie eingestellt.
Und vermissen Sie es, vor der Kamera zu stehen?
Auch wenn mir damals von einigen Medien das Gegensteil unterstellt wurde: Ich war nicht enttäuscht vom ORF, ich wusste ja, wie es dort zugeht, es ging vielen so wie mir. Und ich wusste – eine Tür geht zu, eine andere geht auf. Deswegen vermisse ich auch nichts.
Auch für ihre Familie bäckt und kocht die 4-fache Mutter leidenschaftlich gern Sie sind Mutter von 4 Kindern, darunter ein noch minderjähriges Pflegekind. Wie haben Sie denn den Spagat zwischen Beruf und Familie in all den Jahren gemeistert?
Meine Kinder sind jetzt 15, 18, 28 und 38, und ich bin sogar schon Oma! Ich bin ja schon mit 19 Jahren mit meiner ersten Tochter schwanger geworden. Gut war sicher, dass ich immer von zuhause aus arbeiten konnte, und meine leiblichen Kinder kamen im großen Abstand von 10 Jahren. Ich hatte immer das Gefühl, wenn ich kurz danach ein zweites Kind kriege, würde mich das zu sehr aus dem Berufsleben hinauskatapultieren. Ich habe auch bei beruflichen Entscheidungen Rücksicht auf meine Kinder genommen, habe sogar einmal die Moderation der ZIB ausgeschlagen, weil ich noch gestillt habe und nicht an vier Abenden pro Woche im Sender sein wollte. Das haben damals viele Kollegen gar nicht verstanden.
Wie ist es bei Ihnen zuhause mit der Rollenverteilung? Wer steht am Herd?
Gemeinsam essen und kochen ist uns wichtig, auch mein Sohn, der Medizin studiert, ist ein begeisterter Koch. Mein Mann ist allerdings eher der Grillmeister als ein großer Koch. In den letzten Wochen rund um die Eröffnung hat meine Familie schon leicht gemurrt, dass sie so etwas wie gekaufte Tortellini essen mussten. Jetzt, wo alles geschafft ist, essen wir endlich wieder gemütlich gemeinsam zuhause.
Wie sieht’s eigentlich mit Ihrem eigenen Brotkonsum aus? Kann Sie der Duft von frisch gebackenem Brot immer noch betören?
Ja, auf jeden Fall! Aber im Endspurt vor der Eröffnung des Brotback-Ateliers hat’s mir dann mit Brot auch mal gereicht, weil wir uns von nichts anderem ernährt haben. Da sehnt man sich dann schon mal nach einer guten Gemüsesuppe!
Fast alle Supermärkte locken Ihre KundInnen mittlerweile mit frisch gebackenem Brot und Gebäck aus filialeigenen Backboxen. Was ist so schlecht daran?
Zuallererst: Es ist nicht alles schlecht, was aus der Backbox kommt und nicht jedes Supermarkt-Brot ist schlecht! Ich bin gegen diese Schwarz/Weißmalerei. Nur weil ein Bäcker klein ist, heißt das nicht, dass er auch gut bäckt und nicht die gleichen Vormischungen wie die Industrie verwendet. Und es gibt „Große“, die sich sehr bemühen und gut backen. Aber Frische wird in den Backboxen halt nur vorgegaukelt und von Nachhaltigkeit kann bei diesen langen Transportwegen auch keine Rede sein. Aber trotzdem finde ich, es ist sehr wichtig, dass in punkto Back-Handwerk auch die großen Player mit an Board sind. Es muss möglich sein, dass gutes Brot gebacken wird, das sich alle Menschen leisten können.
Apropos Nachhaltigkeit: Wie halten Sie es damit als Unternehmerin? Ist es nicht oft schwierig, selber alles richtig zu machen?
Im eigenen Brotback-Atelier im 4. Bezirk hält Barbara van Melle Workshops rund ums Backen Regionale Partner sind uns wichtig, von der kleinen Mühle für’s Mehl bis zum Geschirr, das bei uns halt von Riess kommt. Selbst beim Umbau: Die Fliesen sind von der Wienzeile, der Glaser und der Schlosser waren aus dem Grätzl, und die Lampen hat Simon aus uralten Bäckerkörben aus dem Nachlass der Bäckerei Frimmel gebastelt. Aus deren Keller kommt auch unsere riesige, alte Teigwanne. Niemand soll mir sagen, dass nachhaltig nicht geht!
Ihr Partner Simon Wöckl berät auch Bäcker vor Ort in deren Backstuben. Wie funktioniert das in der Praxis?
Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, die Bäcker vor Ort an der Hand zu nehmen und Ihnen zu zeigen, was möglich ist – mit regionalen Mitteln. Auch bei der Ausstattung, wo wir ihnen oft schon gezeigt haben, welche Schätze sie bei sich herum liegen haben – vom alten Logo bis zum Simperl. Schön ist, dass durch unseren Einfluss etwa in Kärnten einige Bäcker wie etwa der Matitz zu Slow Food-Betrieben wurden, die haben sich zu den „Brothandwerkern“ zusammengetan. Und produzieren jetzt Baguette aus weißem Gailtaler Landmais und verwenden Kräuter aus der Region.
Sie sind ja selbst Steirerin. Wie ist es für Sie, in Wien zu leben? Mit welchen drei Wörtern würden Sie Wien beschreiben?
Ich bin seit Ewigkeiten in Wien und bin durch und durch Wienerin! Was ich an Wien so mag ist die Lebensqualität in Bezug auf Natur und Nachhaltigkeit. Einerseits ist Wien eine richtige Großstadt mit unglaublich großem kulturellem Angebot, aber wir haben auch sauberes Trinkwasser und können kostenlos so viele Grünfreiräume nutzen. Und Wien hat 16 Prozent Landwirtschaftsfläche und riesige Weinbaugebiete – das ist einzigartig!
Und wo gehen Sie in Wien hin, um nach einem anstrengenden Tag in der Backstube zu entspannen? Haben Sie einen persönlichen Kraftplatz?
Da gehe ich gerne in die Natur, ich liebe das Mühlwasser sehr, das ist auch in der Nähe meiner Wohngegend im 22. Bezirk.
Was würden Sie Back-Neulingen für’s Brotbacken in der eigenen Küche raten?
Das Wichtigste: Brot backen geht nicht nebenbei! Zumindest nicht, bis man 1 bis 2 Rezepte wirklich gut beherrscht. Am besten man sucht sich ein gutes und einfaches Rezept, etwa Brot aus Roggensauerteig, und perfektioniert das dann. Experimentieren kann man dann immer noch! Bei mir war allerdings Brioche-Striezel immer der Standard fürs Wochenende!
ORF-Moderatorin, Journalistin, Buch-Autorin, Event-Veranstalterin und Unternehmerin – was haben Sie noch vor?
Hilfe, also jetzt ist es mal gut! Ich wollte immer gerne einmal Unternehmerin werden und das bin ich jetzt. Aber was mir schon wichtig wäre: Die Feministin in mir möchte Frauen mitgeben, dass es nie zu spät ist. Für jeden Aufbruch und jede neue Idee! Ich bin davon überzeugt, dass es keine Altersgrenze gibt, wenn man wenn man die Leidenschaft und die Energie hat. Und man sollte nicht alles, was man arbeitet, in Finanzielles umlegen. Denn dann würde man mit vielem nie anfangen – und es könnte sich aus einer Leidenschaft nichts Neues entwickeln.
www.krusteundkrume.at
(Ines Hofbaur, März 2018)
Fotos: Lukas Lorenz (2), Max van Melle, Wolfgang Hummer
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