Vorschreiben darf man mir nichts
Christine Kintisch im Interview
Dr. Christine Kintisch ist Salzburgerin, lebt aber seit dem Ende ihres Kunststudiums in Wien. Sie leitete bis 2012 die BAWAG Contemporary, eine Top-Adresse unter den Wiener Galerien. Ihr Erfolgskonzept: Junge, oft unbequeme Künstler zu zeigen, die sich vielfach dem Kunstbetrieb verweigern. Der StadtSpionin erzählte sie, was Kunst mit Chemie zu tun hat.
StadtSpionin: Ihre aktuelle Ausstellung haben Sie von der Serpentine Gallery, London, übernommen – eine der wichtigsten Galerien Europas. Ist das Ihr Anliegen – sich mit den Großen zu messen?
Dr. Christine Kintisch: Mir geht es um den Künstler, immer um den Künstler. In diesem Fall ist es Hans-Peter Feldmann, schon über 70 Jahre alt, aber wichtig und zeitgemäß. „Contemporary“ ist keine Frage des Lebensalters.
Was gefällt Ihnen an dem Kerl besonders? Dass er sich an keine Regeln halten will? Seine anarchistische Attitude?
Das Anarchistische würde ich schon mal nennen (lacht) und seinen spezifischen Humor! Feldmann lehnt ja alles ab, was Künstler normalerweise machen. Er gibt keine Interviews, er beschriftet seine Werke nicht – und doch ist er weltweit in den bedeutendsten Galerien vertreten und wird sehr teuer gehandelt.
Sich verweigern – ist das denn heute noch provokativ? Oder doch nur eine Masche?
Das ist sicher eine Strategie. Aber bei ihm kommt dazu, dass er zum Beispiel nach seinem Berühmtwerden in den 70ern dann zehn Jahre nicht ausgestellt hat. Er lebte von einem kleinen Souvenirladen, verkaufte Fingerhüte. Er machte einen Katalog, beschrieb die Fingerhüte, man konnte sie einzeln bestellen, und sie wurden weltweit versendet. Das ist schon ein ganz eigener, verschrobener Künstler ... Doch am Ende bleibt er immer an den Frauen kleben (lacht). Frauen sind ein großes Thema in seiner Arbeit. Einmal hat er Frauen ihre Handtaschen abgekauft, um 400 Euro, und den Inhalt dann ausgestellt. Die Serpentine Gallery hat’s jetzt gezeigt, das war der Hit in den englischen Medien! Feldmann hat dann erklärt, er wisse gar nicht, was er damit sagen wollte – und entschieden, die Taschen bei uns in Wien nicht zeigen zu wollen. So ist er einfach.
Ausstellung von Hans Peter Feldman:
Feldmann verwendet gefundene Gegenstände, die er zu humorvollen Werken verarbeitet. Das Anarchistische hat Ihnen spontan gefallen: Haben Sie Spaß daran?
Da geht’s nicht um Spaß, sondern um die Positionierung dieser Galerie. Wir sind ja im Eigentum einer Bank, die seit vielen Jahren kontroversielle Ausstellungen finanziert. Ich habe in der BAWAG Contemporary viele aufmüpfige Künstler präsentiert, die oft auch kritisch mit der Bank umgehen.
Dürfen Sie das denn?
Ich habe sehr oft die Bank thematisiert, eine Bank, die in die Schlagzeilen geraten ist, die den Eigentümer wechseln mußte – etwa mit der Ausstellung „Nothing but pleasure“. Da ging es ums Scheitern, ums Untergehen, sich in einer Falle zu befinden ... Ich genieße mit der Galerie große Freiheit. Hier geht es nur um die Kunst.
Was macht Kunst „zeitgemmäß“?
Wenn sie abseits des Alltags- und Geschäftslebens einen über alles zum Nachdenken bringt, was es auf dieser Welt gibt. Meine Ausstellungen sind sehr oft sozialkritisch, sie sind sehr oft gegen den Kunstmarkt gerichtet, und sie haben oft eine humorvolle Note.
Christine Kintisch bei der Eröffnung einer AusstellungWelche Kunst interessiert Sie denn privat?
(lacht) Immer die Ausstellung, die grad als nächste kommt! Das wird dann Katie Paterson sein, eine junge Schottin, die sich mit dem Universum beschäftigt, die zum Beispiel Sonnenexplosionen als Konfettiregen inszeniert. Deshalb lese ich jetzt viel über diese unglaublichen Dinge, die es in unserm Universum gibt. Die intensive Beschäftigung mit den Künstlern, die ich in meiner Galerie zeige, das interessiert mich, das macht mir große Freude.
Haben Sie Kunst zu Hause?
Ja. Ich hab ein wunderschönes Aquarell von Günther Förg, ein besonderes Lieblingsstück. Ich hab ein ganz kleines Bild von Walter Navratil ... und noch ein bisschen was (lacht).
Sammeln Sie Kunst?
Nein. Höchstens Schuhe (lacht). Aber ich sammle sie nicht, ich kauf und trag sie einfach gern. Nur leider, Schuhe kaufen ist in Wien wahnsinnig schwer. Das tut mir wahnsinnig leid jetzt, das ausgerechnet in einem Gespräch mit der Wiener StadtSpionin sagen zu müssen (lacht). In London ist’s ein Vergnügen, dort gibt es tolle Läden, wahre Schuhparadiese.
Vernisage in der BAWAG contemporarySie sind Salzburgerin. Leben Sie denn gern in Wien?
Ich leb furchtbar gern in Wien. Ich bin gleich nach meinem Studium nach Wien gezogen, lebe seitdem im 7. Bezirk. Ich bin zwar mehrmals umgezogen, aber immer im Siebenten geblieben, ein Bezirk, der mir sehr gut gefällt, der sich in den Jahren sehr zum Positiven verändert hat.
Wie kamen Sie zur Kunst?
Das kann ich jetzt nur vermuten. Mein Vater ist Jazzmusiker, hat sich auch sehr für Bildende Kunst interessiert. Ich hab eigentlich Apothekerin werden wollen, wollte Pharmazie studieren, vielleicht weil ich in Chemie sehr gut war in der Schule, bin dann aber zur Kunstgeschichte übergewechselt. Das ist ja sehr vergleichbar, überall wird ja was zusammengemischt (lacht).
Seit 1989 leiten Sie die Kunstgalerien der BAWAG. Wie schafft man das so lange, wenn man selber immer auch ein bisschen aufmüpfig ist?
Weil’s Spaß macht! Weil’s Freude macht, wenn die Ausstellungen gut werden und die Künstler zufrieden sind. Und damit bringt man auch die Hartnäckigkeit auf, wenn’s mal nicht so einfach ist.
Ist es schwer für Sie, sich zu behaupten? Oder gibt Ihnen die Bank genug Freiraum?
Früher war ja der ÖGB Eigentümer der Bank, und die Gewerkschaftsleute, die waren wirklich an Kunst interessiert. Diese Gedanken der 70er Jahre – freier Eintritt für alle, das sozialkritische Programm –, die kamen von ihnen. Und es ist natürlich schön, dass der jetzige Eigentümer diese Tradition fortführt.
Der genial-exzentrische Sir Tralala bei einem Konzert in der BAWAG contemporaryInteressieren Sie sich auch für andere Kunst?
Aber ja! Ich interessiere mich für alles Mögliche, bin da ein ganz normaler Mensch. Ich hab jetzt zum Beispiel „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ gelesen von Rachel Joyce. Dieser Mann will nur kurz einen Brief einwerfen an seine frühere Kollegin, die im Sterben liegt. Doch dann läuft er am Briefkasten vorbei, aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage 1000 Kilometer durch England. „Ich werde laufen, und Du wirst leben“, heißt es da, ein Buch, das mich sehr berührt hat. Aber ich habe keine speziellen Vorlieben, mich interessiert so viel! Auch in der Musik – von Klassik bis Tango alles quer durch (lacht). Ich geh auch gern ins Kino, am liebsten ins Votivkino oder ins Filmcasino.
Ist Ihre Arbeit das für Sie Wichtigste in Ihrem Leben?
Das ... kann man so sagen. Das ist ja kein Nine-to-Five-Job. Ich nehme meine Arbeit mit nach Hause, sie beschäftigt mich beim Spazierengehen, ich schnapp mir irgendwo ein Buch zu meinem nächsten Projekt, oft ganz intuitiv, ich bin ständig am Nachdenken ... Ich hab immer meine Notizbücher mit, denn oft hat man ja die besten Ideen, wenn man was anderes macht, im Zug sitzt oder im Badeschiff am Donaukanal ...
Neben Konzerten gibt's in der Galerie auch FilmabendeGehen Sie gern spazieren?
Ja, im Prater. Noch lieber in Salzburg am Fuschlsee. Ich war grad zwei Tage dort, so herrlich! Die Wiesen, die Felder ... Ich geh auch viel zu Fuß in die Arbeit, vom Siebenten in den Ersten und zurück, und dann fliegen mir die Ideen nur so zu ...
Die Arbeit ist Ihnen wichtig. Was müßte passieren, dass Sie sagen: Nein, das will ich jetzt nicht mehr?
(lacht) Wenn mir die Bank vorschreiben würde, was in der Galerie gezeigt wird, dann würde ich es nicht mehr machen. Ich habe das ja seit 1989 aufgebaut und entwickelt. Nein, vorschreiben dürfte man mir nichts.
Wie stellen Sie sich Ihr Leben danach vor, nach der Galerie? Was wünschen Sie sich?
Zukunft? Ich denke, ich werde schreiben. Das macht mir unglaublich Spaß. Ich muß mich zwar plagen, ich bin nicht besonders gut im Schreiben, aber ich werde schreiben. Über Kunst, aber auch über andere Sachen ...
... literarische Sachen? Drängen sich schon Themen auf?
Noch nicht! Momentan drängen sich andere Dinge auf (lacht), die Projekte, die als nächstes am Plan stehen, die 20 Mitarbeiter, die geführt werden wollen ... Das Thema wird dann schon kommen! Ich hab so die Vorstellung, ich werde am Land wohnen, einen Christine Kintisch mit dem holländischen Künstler Erik van Lieshoutgroße Garten haben, viele Pflanzen – und ich werde schreiben. Schon eine romantische Vorstellung, ich weiß, aber eine schöne ...
Um die Pflanzen kümmert sich der Gärtner oder Sie selbst?
Ich kümmere mich jetzt schon um meine Pflanzen. Ich hab ja einen kleinen Hofgarten zu meiner Wohnung in der Burggasse und ein paar Pflanzen, die ich pflege. Gärtnern ... das würde ich gern. Ein bißchen Gemüse anbauen, auch mit der Idee der Selbstversorgung, wenn die Krise weiter voranschreitet. Ein Apfelbaum. Vielleicht auch ein Huhn, eine Kuh, vielleicht den Ofen mit Holz heizen ...
Sie also am Land, ein Garten, nicht zu klein, viele Pflanzen ...
... und alles das in der Toskana ... oder am Fuschlsee ... einfach dort, wo es ein bisschen hügelig ist und schönes Licht ist ...
... und was schreiben Sie dann?
Etwas sehr Erbauliches, würde ich sagen, etwas Romantisches ... aber ich kann’s noch nicht sagen. Die Vorstellung ist einfach romantisch. Ein Landhaus, ein Küchengarten, da schreibt man dann ... mit einer Feder (lacht)
... ein Rokokofräulein ...
(lacht) Ja, das stelle ich mir schön vor. So ein Landhaus wünsche ich mir.
Wolfgang Maier
(Juli 2012)
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