Das Theater ist eine Sucht
Ingrid Erb im Interview
Ingrid Erb (46) stammt aus der Schweiz, zog schon als Kind um die halbe Welt und lebt seit zehn Jahren in Wien. Die Architektin ist eine gefragte Bühnen- und Kostümbildnerin, die im gesamten deutsch-sprachigen Raum arbeitet. Leben möchte sie aber nur in Wien. Die StadtSpionin sprach mit der Kreativen, die gerade für die gefeierte Inszenierung von Guys and Dolls an der Volksoper 280 Kostüme entwarf.
Ingrid Erb, Wahlwienerin und gefragte Bühnen/ KostümbildnerinStadtSpionin: Sie haben an der Hochschule Zürich Architektur studiert. Wie kommt es dann, dass Sie Bühnenbilder und Kostüme entwerfen?
Ingrid Erb: Ich wollte immer Bühnenbildnerin werden und habe auch mit 18 Jahren schon mein erstes Bühnenbild in Bern gemacht, aber ich konnte weder Pläne zeichnen noch hatte ich eine Ahnung von Maßstab. Ich habe die ersten Kulissen wirklich „per Hand“ gebaut und dann wurde mir klar, so geht das auf Dauer nicht. Ich beschloss also, ein Jahr Architektur zu studieren. Nur um Pläne zeichnen und Modelle bauen zu können. Aber dann bin ich durch die erste Prüfung durchgefallen und das hat mich so geärgert, dass ich beschlossen habe, das Studium fertig zu machen. Gleichzeitig habe ich schon während des Studiums laufend für diverse Theater gearbeitet.
Und woher stammt das Interesse für Kostüme?
Das kam durch Zufall. Ich war einmal mit einer Kostümbildnerin wahnsinnig unzufrieden und habe mir gedacht, ich versuche das jetzt selber. Vom Schneidern hab ich aber überhaupt keine Ahnung, ich könnte mir also kein Kostüm selber nähen. Ich kann es entwerfen.
Ähnlich wie ein Bühnenbild?
Ja, ich kann die Form zeichnen und habe von Schnitttechnik eine Ahnung. Meine Kostüme sind auch bis jetzt immer sehr architektonisch angedacht, ich „baue“ sie von der Shilouette und von den Farben her.
Was machen Sie denn lieber, Bühne oder Kostüme?
Am liebsten beides zusammen. Von der Architektur her sind der Raum und das Licht das
Entwurf für Kostüm in "Guys
and Dolls" (Volksoper)
Interessantere, aber das Ganze wird von den Kostümen unterstützt. Das beeinflusst sich gegenseitig.
Sie kommen ursprünglich aus Bern, wie sind Sie denn in Wien gelandet?
Als 1999 Dominique Mentha Intendant der Volksoper wurde, hat er mich nach Wien geholt. Und ich bin geblieben. Ich könnte ja überall in Europa leben, weil ich für meine Arbeit sowieso ständig herumreisen muss. Da lebe ich lieber gleich in einer Stadt, die mir gefällt – und Wien gefällt mir wahnsinnig gut und mein Sohn geht hier in die Schule.
Was macht Wien für Sie denn so attraktiv?
Mehreres. Natürlich die reiche Kulturszene. Dass ich hier für 10 Euro in die Oper gehen kann und Osawa ein Weltklasse-Orchester dirigieren sehe, das ist schon einzigartig. Und dann das „Balkan-Feeling“, die Öffnung nach Osteuropa, was ich total interessant finde. Im Gegensatz zur Schweiz empfinde ich Wien überhaupt als sehr offen und freundlich, ich mag auch diesen k.u.k-Touch. Dass mir die Leute die Tür aufhalten und mich mit „Gnä’ Frau“ begrüßen, das
Entwurf für Striptease-Szene
in "Guys and Dolls" (Volksoper)schätze ich (lacht).
In der Schweiz ist alles zu Tode renoviert und zu Tode geputzt. Hier ist nicht alles perfekt, in Wien ist noch Platz für Wildwuchs.
Fühlen Sie sich in Wien zuhause?
Nun, ich fühle mich sicher nicht als Wienerin, aber ich fühle mich nicht fremd. Das ist schwer zu beantworten für mich, weil ich so oft in meinem Leben irgendwo „Ausländerin“ war. Eigentlich ist das fast eine Identität für mich, Ausländerin zu sein. Für mich ist dort „Zuhause“, wo man sich wohlfühlt – mit welchem Pass auch immer.
Sie sind ja schon als Kind sehr viel herumgekommen.
Ja. Geboren bin ich in Basel, aber aufgewachsen in New York, Helsinki und den Virgin Islands. Mein Vater arbeitete als Mediziner im Ausland und wir sind viel herumgezogen.
Zurück zur Arbeit. Im Moment laufen in Wien gleich zwei Stücke, die Sie ausgestattet haben: „Die Reifeprüfung“ am Volkstheater und „Guys and Dolls“ an der Volksoper. Außerdem bereiten Sie in Mainz ein Schauspiel vor, für Augsburg „Zar und Zimmermann“ und für Luzern „Orpheus und Eurydice“. Wie schaffen Sie so viele Jobs auf einmal?
Die Vorbereitungen für jedes Stück dauern ja Monate, das ist also schon zu machen. An so einer großen Produktion wie „Guys and Dolls“ zum Beispiel haben wir über ein Jahr gearbeitet.
Und wie kann man sich dabei Ihre Arbeit konkret vorstellen?
Am Anfang einigt man sich mit dem Regisseur auf ein Konzept und legt den Stil fest. Dann mache ich Recherchen und beginne zu zeichnen, entweder Entwürfe fürs Bühnenbild oder Figurinen bei den Kostümen. Jede einzelne Person aus dem Stück wird gezeichnet, mit dem was sie anhat. Dann bespricht man sich wieder mit dem Regisseur und am Ende habe ich ein dickes Buch mit allen Entwürfen, die dann von den Schneiderinnen umgesetzt werden müssen. Für das Bühnenbild baue ich am Schluss auch Modelle, weil man da mögliche Probleme schneller erkennen kann als am Papier.
Und wie lange dauert dabei das Entwerfen einer Figur?
Das Zeichnen geht relativ schnell, aber die Recherche ist aufwändig. Bei Guys and Dolls etwa gibt es Striptease-Nummern, ich musste also neben den Kostümen auch die Unterwäsche für eine ganze Reihe von Frauenfiguren entwerfen. Als Recherche habe ich mich dafür viel mit Burlesque beschäftigt, habe mir Aufnahmen von Ditta von Teese angesehen und Bücher über das Thema gelesen.
Das fertige Ergebnis: Guys and DollsGuys and Dolls ist ja überhaupt eine sehr aufwändige Produktion.
Ja, für Guys and Dolls habe ich 280 Kostüme entworfen! Das war der größte Auftrag, den ich in dieser Beziehung je hatte. Allein der Chor war 70 Personen groß, und wenn die sich einmal umziehen, sind das dann schon 140 Kleider. Und nach dem Entwerfen habe ich zu jedem einzelnen Kostüm den passenden Stoff gesucht. In Wien ist dieser Teil der Arbeit phantastisch, weil es hier sehr viele sehr gute Stoffgeschäfte gibt.
Oh, kriegen wir ein paar gute Tipps?
Der absolute Hit ist die Frau Finder! Das ist wirklich das coolste Stoffgeschäft von Wien. Man muss sich telefonisch anmelden, bevor man kommt, aber Frau Finder kennt alles und hat alles. Sie führt sogar noch Originalstoffe aus den 50er Jahren. (Anmerkung der Red.: Finder, Hoher Markt 4, 1010 Wien. Tel. 0699/ 12126183) Auch zu Conquero auf der Neulerchenfelder Straße gehe ich gerne und Komolka ist natürlich auch nicht schlecht.
Die Arbeitsbedingungen sind ja von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich. Was war denn bis jetzt Ihr „exotischstes“ Erlebnis?
Vielleicht voriges Jahr die Inszenierung in Sibirien. Ich habe an der Staatsoper Novosibirsk Bühnenbild und Kostüme für Figaros Hochzeit von Mozart gemacht. Es gab aber nur einen Dolmetscher, und der war für die Regie zuständig.
Und wie haben Sie sich verständigt?
Mit Händen und Füßen. Und am Vorabend russische Wörter für die nächste Besprechung gelernt. Das war anstrengend, aber toll! Noch verrückter waren aber die Arbeitsbedingungen in Triest vor ein paar Jahren. Die Italiener haben nur Dolce vita gemacht, nichts war fertig. Und dann wurde auch noch das Theater überschwemmt und alle Kostüme waren nass.
Für Cosi fan tutte in München entwarf Erb sowohl Bühnenbild als auch KostümeStimmt es, dass Sie nach jeder Premiere aufhören wollen?
(Lacht.) Ja, das stimmt. Immer denke ich mir, jetzt ist es genug.
Und was machen Sie, wenn Sie aufgehört haben?
Das nächste Stück (lacht). Da ruft jemand an und sagt, Du wir inszenieren ein Stück, das spielt in Holland im 17. Jahrhundert – und sofort fange ich an zu lesen und ertappe mich dabei, wie ich völlig fasziniert den Schiffsbau dieser Zeit recherchiere. Und dann hat’s mich schon. Ich würde aber gerne auch einmal Möbeldesign machen. Ich habe schon eine ganze Schublade voller Entwürfe.
Das wäre doch ein wunderbarer Zweitberuf.
Ja. Aber das Theater ist halt schon eine Sucht. Das Hinarbeiten auf die Premieren, das Geschichten erzählen, die Welten, die man entstehen lassen kann, die Musik, das Publikum – das ist wie ein Rausch. Das lässt einen nicht mehr los.
Sabine Maier
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