Schnickschnack gibt’s bei mir nicht, ein Gericht aus drei Zutaten kann perfekt sein.
Sandra Scheidl im Interview
Jung, wild und frei – die Geheimrezeptur für diese Persönlichkeitsattribute könnte Sandra Scheidl kredenzt haben. Die gebürtige Tirolerin gewann 2020 als erste Frau den größten europäischen Nachwuchsköche-Wettbewerb „Junge Wilde“. Warum ihr ein eigenes, Restaurant zu „Nullachtfünfzehn“ ist, sie dafür lieber mit Künstlern kocht und wie es sein kann, dass sich eine Fine-Dining-Expertin gar nicht so gut mit Fleisch auskennt, hat die Wien-Verliebte der StadtSpionin im Interview verraten
Sie waren 2020 die Junge Wilde-Gewinnerin – und das als erste Frau in der Geschichte des Wettbewerbs! Wie fühlt sich das an?
Sandra Scheidl: Einfach großartig! Ich wollte schon lange an diesem Wettbewerb teilnehmen. Man misst sich mit wahnsinnig starken Konkurrenten, das ist sehr aufregend. Zum Zeitpunkt meiner Teilnahme habe ich noch in Oslo gearbeitet und hatte dort und zuvor auch in London schon viel Erfahrung sammeln können. Ich habe mich also von meinem Können her, reif für den Wettbewerb gefühlt. Außerdem stand für mich auch schon fest, dass ich mich in Österreich selbstständig machen möchte, daher dachte ich: Im Bestfall gewinne ich und die mediale Aufmerksamkeit gibt mir den nötigen Boost für meinen Karriereplan.
Hat offensichtlich gut funktioniert! Was hat es mit Ihnen als Person gemacht plötzlich viel mehr in der Öffentlichkeit zu stehen?
Auf der einen Seite war es genau das, was ich wollte. Ich konnte so wichtige Kontakte knüpfen und meine Arbeit einfach sichtbar machen. Im Nachhinein denke ich mir aber, der erste Monat nach meinem Sieg ist wie im Rausch vergangen. Es war wirklich geballt und stressig und ich habe erst danach realisiert, was gerade passiert ist.
Wie kamen Sie eigentlich zum Kochen?
Ganz klassisch. Ich habe gerne meiner Mutter geholfen. Aber in der Jugend begann ich mich für das Kunstvolle am Kochen zu interessieren und habe mir viele Kochbücher gekauft, um neue Techniken zu lernen. Mit dreizehn war ich dann für das Weihnachtsmenü zuständig. Natürlich nicht unter fünf Gänge, damit ich mich auch richtig austoben konnte (lacht).
Technik und Optik gehen bei Sandras Gerichten Hand in Hand. Das Ergebnis sind kleine Kunstwerke auf dem Teller.
Und was hat sich seit Ihren damaligen Gerichten verändert?
In meiner Jugend war ich vor allem von der Optik auf dem Teller fasziniert. Was man alles mit Produkten kreieren kann – Farben, Texturen etc. Über die Jahre habe ich aber gemerkt, dass ich mich mehr auf Geschmack und Technik konzentrieren muss. Das habe ich mittlerweile sehr ausgefeilt und kombiniere beides – Kunst und Essen.
Holen Sie sich für Ihre Gerichte Inspiration in andern Restaurants?
Aus denen, wo ich gearbeitet habe, auf jeden Fall. Aber, wenn ich privat essen gehe nicht mehr. Ich habe irgendwann angefangen jedes Gericht auseinanderzupflücken, bis mein Partner mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass wir doch eigentlich zum Genießen da sind. Seitdem gehe ich nur noch essen, um einen schönen Abend zu haben.
In Restaurant-Küchen herrscht oft ein rauer Ton. Hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere, vor allem als Frau, damit zu kämpfen?
Es hat schon lange gedauert, bis ich gelernt habe hart ausgesprochene Kritik nicht persönlich zu nehmen. Besonders, weil ich sehr perfektionistisch bin. Es ist aber nicht immer so, dass Pfannen und Kochlöffel fliegen. Besonders die neue Generation will weg von diesem „Wir sind so hart, wir müssen alle 20 Stunden am Tag arbeiten“. Der Umgangston ist viel besser geworden, die Work-Life-Balance hat an Bedeutung gewonnen und es wird viel mehr darauf geachtet, dass jeder Spaß bei der Arbeit hat.
Sie haben kein eigenes Restaurant, sondern man kann Sie für unterschiedliche Veranstaltungen buchen. Warum haben Sie sich für dieses Konzept entschieden?
Es war ursprünglich schon mein Plan ein eigenes Restaurant zu eröffnen und ich habe mich auch immer wieder mit potenziellen Partnern besprochen, aber es hat für mich nie ganz gepasst. Besonders durch Umwelteinflüsse wie Corona habe ich dann bemerkt, dass es noch ganz andere Möglichkeiten gibt, als den Nullachtfünfzehn-Weg. Und dann war es auch der natürliche Lauf der Dinge, denn nach meinem Sieg beim Junge Wilde-Wettbewerb habe ich sehr viele unterschiedliche, spannende Anfragen bekommen. Ich finde es einfach aufregender örtlich ungebunden zu sein und nicht jeden Tag das Gleiche machen zu müssen.
Ihr neues Konzept heißt „Culinary meets Art“. Erzählen Sie uns ein wenig darüber.
Die Leidenschaft zur Optik und zur Kunst war ja schon immer da. Deshalb wollte ich beides verbinden und habe angefangen Künstler anzufragen, ob sie sich eine Kooperation mit mir vorstellen können. Das Feedback war so super, dass ich dieses Jahr mit meiner Crew richtig durchstarte. Wir gehen auf Tour durch mehrere österreichische Städte und bei jeder Station ist ein neuer Künstler dabei. Das ist dann quasi mein Moving-Restaurant.
Mit dem peruanischen Künstler Louis Morales hat Sandra Scheidl ihr Projekt "Culinary meets Art" gestartet.Und wie genau verbinden sich dabei Kulinarik und Kunst?
Es wird Live-Cooking und Live-Painting geben, die Gäste können sich die Kunstwerke anschauen, wie bei einer Ausstellung (glänzende Augen). Unsere erste Station wird im März Innsbruck mit Luis Morales sein. Er macht Street-Art auf Leinwand – mega cool! Er wird dann beispielsweise die Etiketten der Weine designen und wir werden ein gemeinsames Gericht kreieren, inspiriert von meinem Stil und eines seiner Lieblings-Kindheitsspeisen aus seiner Heimat Peru.
Kann jeder an den Events teilnehmen?
Es gibt eine begrenzte Teilnehmeranzahl, ca. 40 Gäste pro Abend. Die Tickets können online auf unserer Website www.culinarymeetsart.com gebucht werden.
In Ihrem Job muss man sich überall auskennen – vom Amuse-Bouche bis zum Dessert. Schlägt Ihr Herz eher für das Herzhafte oder das Süße?
Ich mag alles! Aber womit ich mich am wenigsten auskenne, ist Fleisch. Bei meinen 8-Gänge-Menüs gibt’s meist nur ein Fleischgericht. Ich möchte meinen Gästen damit näherbringen, dass es bei Fleisch auf Genuss, Qualität und Bewusstsein ankommt und nicht auf die Masse.
Fleischgerichte sind in den Menüs der "Junge Wilde"-Gewinnerin eine Seltenheit. Damit möchte sie ihren Gästen den hohen Wert von Tierprodkten nahebringen.
Und was macht Ihnen am meisten Spaß an Ihrem Job?
Die unterschiedlichen Ergebnisse, die man aus ganz puren Rohstoffen bekommen kann. Aus Gemüse kann man Soßen, Cremes, Gele etc. herstellen und hat am Ende aus etwas ganz Ursprünglichem eine wahre Geschmacksexplosion kreiert. Das liebe ich einfach!
Apropos kreieren: Wie entsteht ein Gericht bei Ihnen?
Ich setze mich quartalsweise bzw. saisonabhängig hin und mache mir eine Liste der Zutaten, mit denen ich in den nächsten Wochen arbeiten möchte. Und dann schaue ich was wozu gut passt. Anschließend zeichne ich das Gericht und wie es auf dem Teller aussehen soll in mein Skizzenbuch und zum Schluss muss ich natürlich in der Küche ausprobieren, ob mein toller Plan auch funktioniert. Danach hat so manches Gericht überhaupt nichts mehr mit der Anfangsskizze zu tun (lacht).
Viele Köche haben eine Handschrift bei der Telleranrichtung (Türmchen, Kleckse etc.) – wie würden Sie Ihre beschreiben?
Dadurch, dass ich viel in nordisch angehauchten Restaurants gelernt habe und auch in Norwegen gekocht habe, sind meine Teller sehr puristisch, aber dennoch kunstvoll. Ich konzentriere mich vor allem auf den Geschmack und hebe das Produkt in den Vordergrund. Schnicksschnack gibt’s bei mir nicht. Das spiegelt sich auch in den Gerichten wider, denn viele bestehen aus nur drei Hauptzutaten.
Und was ist Ihre Lieblingszutat?
Oh, da gibt’s viele! Aber Topinambur ist wohl mein Favorit. Ich liebe diese schöne, süße, nussige Knolle.
Und was ist ein guter Tipp, um zuhause einen Teller à la Haute Cuisine anzurichten?
Schwierig… zuhause richte ich nicht schön an (lacht herzig). Ich würde mir im Restaurant, in Kochmagazinen oder auf Social-Media Anrichtevarianten anschauen. Das inspiriert immer sehr.
Klassisch, stilvoll, hochwertig – das sind Wiens Attribute, die Sandra bei der Kreation ihrer exquisiten Gaumenschmeichler beeinflussen.
Ihr Lieblingswerkzeug in der Küche ist …?
Ein Topf und ein Herd reichen!
Inspiriert Sie Wien bei der Kreation Ihrer Gerichte?
Von seiner kulinarischen Seite ehrlich gesagt weniger. Ich finde Wien ist sehr stark, was traditionelle Küche angeht, aber das ist nicht das, was ich mache. Was mich aber inspiriert und auch zu meinem Kochstil passt, sind Wiens klassische, stilvolle und hochwertige Seiten, die sich durch die Architektur, den Lebensstil und die Kultur ziehen
Sie haben zuvor bereits in renommierten Restaurants in London und Oslo gekocht. Was waren die größten kulinarischen Unterschiede zu Wien?
Dazwischen sind Welten! Besonders in den nordischen Ländern und in London wird Sterneküche viel mehr gehypt. Das liegt vor allem daran, dass diese Länder keine starke, traditionelle Esskultur haben, was in Wien aber sehr wohl der Fall ist. Einfach erklärt: Wenn ich in Oslo einen Geschäftspartner beeindrucken möchte, lade ich ihn in ein Sterne-Lokal ein. In Wien überlege ich dreimal, ob ich in ein Fine-Dining-Restaurant gehe oder zum besten Schnitzel-Wirt.
Gibt es, abgesehen vom Fine-Dining-Aspekt, noch andere Unterschiede?
Ja, es ist auch sehr auffällig, dass sich in Norwegen und London viel mehr junge Menschen für Haute Cuisine interessieren und bereit sind, mehr Geld für gutes Essen auszugeben. Dadurch, dass die Köche dort viel mehr ins mediale Rampenlicht gerückt werden, haben sie quasi Promi-Status. Und in ihren Lokalen essen zu gehen, ist natürlich ein Erlebnis.
Was hat Sie zurück nach Wien verschlagen?
Ich habe schon mit 16 gesagt, dass ich irgendwann in Wien leben will. Ich habe mich aber nicht direkt hier für ein Restaurant beworben, weil ich wusste, wenn ich einmal hier bin, geh ich nie wieder weg (lacht). Und als ich soweit war, mich selbstständig zu machen, war Wien die einzige Option.
Und leben Sie gerne hier?
Ja! Es ist so unglaublich schön hier, ich kann’s manchmal gar nicht fassen. Ich laufe zum hundertsten Mal durch den ersten Bezirk und bin immer noch fasziniert. Auch die Museen, Theater, Cabarets – die Kultur hier ist ein Wahnsinn.
Zum Abschluss: Wenn Wien ein Gericht wäre, welches wäre es?
Ein Tafelspitz – hochwertig und trotzdem sehr klassisch.
Interview: Justine Lepoix
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BISHER ERSCHIENEN
Isabell Claus, Gründerin thinkers.ai
Sandra Scheidl, Köchin
Marlene Kelnreiter, Käsemacherin
Doris Pulker-Rohrhofer, Geschäftsführerin Hafen Wien
Lisz Hirn, Philosophin und Publizistin
Carla Lo, Landschaftsarchitektin
Ulli Gladik, Dokumentarfilmemacherin
Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren
Barbara van Melle, Slow Food-Botschafterin
Ilse Dippmann, Frauenlauf-Gründerin
Clara Luzia, Singer-Songwriterin
May-Britt Alróe-Fischer, Leiterin des Modepalast
Anita Zieher, Schauspielerin & Theatermacherin
Clara Akinyosoye, Chefredakteurin "fresh"
Elis Fischer, Krimi-Autorin
Cecily Corti, Obfrau von VinziRast
Barbara Glück, Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Ingrid Mack, Erotikfachfrau und Besitzerin von "Liebenswert"
Petra Jens, Fußgängerbeauftragte
Ursula Kermer, Gründerin Muu-Design
Nathalie Pernstich, "Babette's"-Inhaberin & Gewürzpäpstin
Stefanie Oberlechner, Donau-Schiffskapitänin
Christine Kintisch, ehemalige Leiterin der BAWAG Contemporary
Anette Beaufays, Leiterin der Art for Art Kostümwerkstätte
Annemarie Harant, Gründerin der "Erdbeerwoche"
Ulli Schmidt, Geschäftsführerin der Wiener Tafel
Kathi Macheiner, Mode-Designerin "sixxa"
Nuschin Vossoughi, Chefin Theater am Spittelberg
Claudia Krist-Dungl, Geschäftsführerin des Dungl Zentrums Wien
Andrea Brem, Chefin der Frauenhäuser Wien
Christina Zurbrügg, Jodlerin
Gabriele Schor, Leiterin Sammlung Verbund
Frenzi Rigling, Künstlerin
Elisabeth Gürtler, Sacher-Chefin
Margot Schindler, Direktorin des Volkskundemuseums
Friederike Range, Wolfsforscherin
Mercedes Echerer, Schauspielerin
Verena Forstinger, Hoteldirektorin "Style Hotel Radisson"
Karin Troschke, Papierrestauratorin
Gabriele Gottwald-Nathaniel, Leiterin von "gabarage" und Kalksburg
Rahel Jahoda, Therapeutin bei intakt, dem
Zentrum für Ess-Störungen
Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"
Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums
Lama Palmo, buddhistische Priesterin
Elke Krasny, Stadtforscherin
Ingrid Erb, Bühnen- und Kostümbildnerin
Jutta Ambrositsch,
Winzerin in Wien
Monika Buttinger, Designerin "Zojas"
Ketevan Sepashvili, Pianistin