Stadtgespräch

Die Welt muss nicht gerettet werden

Lisz Hirn im Interview

Lisz Hirn (37) ist Philosophin, Publizistin und Dozentin. Ende Februar 2020 erschien ihr Buch „Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten.“ über untaugliche Rolemodels und die geheime Superkraft der Vernunft. Seit zwölf Jahren lebt und arbeitet die geborene Steirerin nun in ihrer Wahlheimat Wien, mit der sie eine Hassliebe verbindet und die sie mit Projekten wie dem philosophischen Café „Philosophieren im Grätzel“ beglückt. Mit der StadtSpionin spricht sie über die Lage von Frauen, zu viel Selbst-Optimierung und ihre Gefühle für den 15. Bezirk.

Lisz Hirn Portrait
Philosophin Lisz Hirn
StadtSpionin: Ihr Buch „Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ ist thematisch passend kurz vor dem ersten Lockdown erschienen. Was hat Sie auf die Idee für das Buch gebracht?
Lisz Hirn: Ich war teilweise selbst schockiert, wie knapp ich mit meinem Thema an der Pandemie dran war. Was mich interessiert hat, war, wie sich antike Heldenideale verändert und was moderne Superhelden noch mit ihnen zu tun haben. Ich möchte die Mechanismen hinter diesen Heldenbildern aufzeigen, warum wir uns gerne auf sie verlassen und was andere Möglichkeiten sind, um mit Krisen besser und gewaltfrei umzugehen.

Also sind Sie der Meinung, dass die Welt noch zu retten ist?
Ich bin davon überzeugt, dass die Welt nicht gerettet werden muss. Außerdem bin ich Philosophin und keine Selbsthilfetherapeutin, Weltrettung ist bei mir anders zu verstehen. Ich glaube, dass eine Verhaltensänderung der Menschen notwendig ist. Wir sehen, dass wir in einem System leben, das Ressourcen verzehrend ist und unser Überleben gefährdet. Als Menschen haben wir die Fähigkeit, die Welt anders zu gestalten.

Dafür schlagen Sie den Einsatz einer geheimen Superkraft vor, die wir alle besitzen: die Vernunft. Kann Vernunft so viel bewirken?
Prinzipiell ja, auch wenn ich der Meinung bin, dass bei Vernunft gegen Affekt die Affekte gewinnen. Bei bestimmten Themen kann Wissen aber helfen Entscheidungen zu treffen, Zusammenhänge zu verstehen und mit Krisen besser umzugehen. Das passiert aber nicht irgendwann ganz plötzlich. Es ist zwar nett zu sagen „Der Mensch, das vernünftige Wesen“, aber an dem müssen wir arbeiten, etwa durch Bildung.

Und wie kann Philosophie da praktisch helfen?
Sie kann helfen, einen Metablick auf Ängste zu bekommen: Was sind berechtigte und unberechtigte Ängste? Ein klassisches Thema ist die Impfskepsis: Zu wissen, wie gering das Risiko einer Impfung im Vergleich zu einer Ansteckung und Krankheitsfolgen ist, wird gut helfen, Ängste unter Kontrolle zu bekommen. Sie sind nicht ganz weg, aber stehen in Perspektive zueinander.

Buch „Wer braucht Superhelden“
Buch „Wer braucht Superhelden“
Sie schreiben, dass unsere Gesellschaft „verweichlicht“ ist. Sie hält weder Unsicherheit noch Schmerzen aus. Wann und wieso sind wir so wehleidig geworden?
Ich bin ein großer Feind der Idee, man könne sich einfach abhärten. Verweichlicht sind wir insofern, als dass sich unsere Wahrnehmung verändert hat. Wir sehen den Körper als etwas, das von außen Mittel zur Verfügung bekommt, um zu funktionieren. Als etwas, das wir endlos optimieren können, um irgendwann alle Krankheiten zu besiegen und vielleicht sogar unsterblich zu werden. Körper sind aber fehlbar, jeder ist anders und wir sind anfällig für unser Umfeld, das Wetter und darauf, wie wir leben. Die Vorstellung wir könnten einen bequemen Zustand in jeder Sekunde unseres Lebens haben und wenn dem nicht so ist, dann stimmt etwas nicht, ist total seltsam.

Sich ständig optimieren zu wollen, klingt nach viel Druck.
Genau, obwohl man sehr wohl an sich arbeiten kann. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen der Arbeit an krisenhaften Lebensumständen und dem Glauben, sich zu Tode optimieren zu können, um Glück und Erfüllung zu erreichen. Dieses Ziel-Versprechen ist sehr hinderlich und führt nicht wirklich zu einer Entfaltung von Gesellschaft und Individuum.

Ist Ihr Buch das einer Optimistin oder Pessimistin?
(lacht) Einer Realistin! Es ist wie in dem vielleicht etwas platten, aber sehr schönen Spruch: Der Optimist sieht das Paradies und der Realist das Paradies plus Schlange. Meine These ist, dass viele Probleme erst auftreten, weil es als Mensch wesentlich ist, sich mit ihnen ernsthaft auseinanderzusetzten – auch wenn man sie nicht lösen kann. Es geht darum zu zeigen, wie mein Zugang zur Welt ist und mit welchen existentiellen Situationen wir alle konfrontiert sind. Sei es Tod, Gewalt oder Krankheit: Um solche Themen angehen zu können, braucht es eine mutige Sicht.

Schon im Klappentext schreiben Sie, dass „starke Männer“ wie Putin und Donald Trump vormachen, wie die Rettung der Welt sicher nicht funktionieren wird. Sind Frauen die besseren Superheldinnen?
Das wäre eine schöne Ausflucht, das glaube ich aber nicht. Natürlich ist das Superheldenkonzept auf Männer zugeschnitten, die sich den Mythos des starken Mannes perfekt aneignen können. Ganz klar vorhanden ist heute auch noch die Neigung, in Krisen darauf zu hoffen, dass einer - und die Betonung liegt auf einer - alle Probleme lösen kann. Krisenmanagement traut man Männern immer noch mehr zu als Frauen.

Lisz Hirn
Lisz Hirn
Braucht es also einen Heldenersatz?
Das ist die spannende Frage. Auch nur wenige andere ForscherInnen können eine Antwort liefern. Wir hatten eine Demokratisierung von antiken HeldInnen zu HeldInnen des Alltags, so wie es auch in der Corona-Krise ist und war. Dann haben wir noch Superhelden mit übermenschlichen Fähigkeiten. Was ist darüber hinaus noch möglich? Ich bin sehr gespannt, welche Antwort die Menschen darauf finden werden. Vielleicht konzentrieren wir uns wieder auf das Menschliche, das würde ich sehr spannend finden: Sterblichkeit und Vergänglichkeit als etwas sehr Positives.

Vor allem Frauen sind im Gesundheits- und Sozialwesen, dem Handel und der Hausbetreuung tätig. Während Corona wurde viel über sie als Alltagsheldinnen und Systemerhalterinnen gesprochen.
Bei mir leuchten immer die Alarmglocken, wenn das Wort Heldinnen fällt, denn das Grundkonzept hat den Anspruch, sich zu opfern – Punkt. Heldin zu sein heißt aber nicht, dass sich daraus bessere Arbeitsbedingungen entwickeln oder ein finanzieller Mehrwert entsteht. Ich bin aber sehr froh, dass in der Krise viele den Blick auf die schwierige Situation von Frauen nicht verloren haben.

Denken Sie, dass die Krise Frauen in ihrer Stellung und ihrem Fortkommen zurückgeworfen hat?
Einige Dinge legen das nahe, ich bin geteilter Meinung. Worauf wir jetzt einen starken Fokus legen müssen, ist, dass arbeitslos gewordene Frauen wieder einen Job finden. Ich warne auch vor der Aussage, wir hätten jetzt andere Probleme, als dass wir uns um Abhängigkeiten von Frauen und Frauengesundheit sorgen könnten. Das halte ich für ganz gefährlich. Damit werden Probleme zu lange übersehen und in zehn Jahren könnte sich die Situation von Frauen wieder stark verschlechtert haben.

Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Ich habe an sich überhaupt nichts gegen das Etikett „Feministin“. Ich würde mich, und ich sage das ganz bewusst, als Emanze bezeichnen.

Buch GEHT'S NOCH
Buch „Geht's noch!“
Das überrascht, da der Begriff oft abwertend verwendet wird.
Ich hatte auch immer die Empfindung, „Emanze“ sei etwas Negatives – bis ich mich mit dem Begriff auseinandergesetzt und gesagt habe: Ja, genau so ist es! Ich finde, es ist ein sehr positives Wort.

Geboren sind Sie im steirischen Leoben, studiert haben Sie in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Ein ganz schön weiter Weg.
Es war ein schrittweises Herantasten an größere Städte. Mittlerweile habe ich große Städte sehr, sehr gerne und wenn ich reise, geht’s nicht ohne. Es fasziniert mich zu sehen, wie Städte funktionieren, Leute sich organisieren, zusammenraufen und Strukturen aufbauen.


Gibt es einen besonderen Grund, wieso Ihre Wahl für den Wohnort auf Wien gefallen ist?

Aufgewachsen bin ich hinter dem Semmering mit einem gewissen Misstrauen gegenüber Wien (lacht). Ich dachte, ich würde eher nach Paris ziehen, 2009 habe ich dann für mich selbst überraschend beschlossen: Ich muss nach Wien! Seitdem befinde ich mich in einer sehr starken Hassliebe zur Stadt. Vom Misstrauen bin ich hin zu: Es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wohnen würde. Nur die Berge, die gehen mir schon ab.

Worauf bezieht sich der Hass und worauf die Liebe?
Was ich absolut liebe, ist die Tradition der Caféhäuser als Orte des Treffens. In Paris spürt man das auch, aber in Wien ist das Café eine ganz eigene, ja schon zivilpolitische Institution. Auch wenn es mal grantige KellnerInnen gibt. Den Wiener Grant kann ich übrigens gut nachvollziehen, vielleicht weil ich ihn am Morgen sehr oft selbst spüre. Hass in Bezug auf die Rücksichtslosigkeit, die manchmal in der Großstadt vorkommt.


Projekt Philosophie im Grätzel
Philosophie im Grätzel
Empfinden Sie das so für die ganze Stadt?

Ich lebe seit elf Jahren im 15. Bezirk, der ein sehr guter Ort ist, um auszutesten, wie tolerant man ist. Hier ist Hassliebe ein ständiges Thema. Einerseits will man reisen, was eigentlich nicht nötig ist, weil man hier alles hat: das Bobo-Lokal zwischen somalischem Imbiss und Würstelstand. Eine Runde am Meiselmarkt und der Bedarf an Fernweh ist gedeckt. Das liebe ich sehr und andererseits hat man mit dem Gefühl zu kämpfen, nicht zu wissen, was vor sich geht. Rudolfsheim-Fünfhaus ist zum Beispiel dem Durchschnittsalter nach der jüngste Bezirk Wiens. Ich selbst komme aus Leoben, einem der ältesten Bezirke Österreichs.

Was denken Sie: Ab wann ist man offiziell Wienerin?
Da ist die Steiermark besonders: Nach circa drei Jahren habe ich das Prädikat Steirerin zu sein verloren und wurde als Wienerin tituliert. Ich habe mich auch schon selbst beim Granteln auf hohem Niveau erwischt – bei vierminütiger Wartezeit bei den Öffis.

Gibt es einen Charakterzug der WienerInnen, der Ihnen beim Durchstehen von Corona besonders hilft?
Oh, ja! Ein Freund meinte mal zu mir: Du passt total gut nach Wien, denn du bist genauso morbid. Dieser Galgenhumor mit der Situation umzugehen, der auch bei Corona noch mal zynischer drüberfährt: Das mag ich total gerne. Die gelebte Morbidität im schwarzen Humor oder auch im Schimpfen der WienerInnen hilft mir sehr.



( Verena Richter )

KONTAKT
Lisz Hirn
Johnstraße 24, 1150 Wien
lisz.hirn@gmx.at
www.liszhirn.at

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Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten. Web
Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist. Web

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