Ich liebe Mathematik und Geometrie
Aslihan Atayol im Interview
Aslihan Atayol (40) hat mit 35 ihr Berufsleben samt Nachnamen komplett umgekrempelt. Aus der Architektin und Denkmalpflegerin wurde eine Allround-Designerin mit dem kultigem Atelier-Laden Loyata (Atayol rückwärts). Sie macht Schmuck aus Barbie-Puppen, designt Lampen aus Babynuckeln und verarbeitet Schreibmaschinen-Tasten und Flaschenverschlüsse. Die StadtSpionin sprach mit der aus der Türkei stammenden Designerin, die sich selbst als detailversessen bezeichnet.
Aslihan Atayol: Designerin, Architektin, SchmuckliebhaberinStadtSpionin: Sie haben ja eigentlich Architektur in der Türkei studiert und in Wien in der Denkmalpflege gearbeitet. Wie kam der Wechsel zum Designberuf?
Aslihan Atayol: Eigentlich habe ich schon als Kind gerne designtechnisch experimentiert. Vor allem Schmuck habe ich schon immer gemacht, während des Studiums und später während meiner Tätigkeit am Ludwig-Boltzmann-Institut in der Denkmalpflege. Als vor 5 Jahren dann das Institut geschlossen hat, habe ich mir gesagt: „Ok, bevor ich mit 35 in irgendeinem Architekturbüro wieder bei Null anfange, mache ich mein Hobby zum Beruf.“ Und so habe ich mich in die Selbständigkeit geschmissen.
Dazu gehört ja jede Menge Mut.
Klar. Begonnen habe ich mit dem Design von Kettenhemden. Weil es eine alte Technik ist, die mich interessiert, weil es etwas Handwerkliches ist und weil es Schmuck ist. Und nach drei erfolgreichen Jahren als „Queen of the rings“ bin ich dann zu weiteren außer-gewöhnlicheren Materialien übergegangen.
Und wie sahen Ihre Design-Experimente als Kind aus?
Schräg. Meine erste Perücke, die ich gemacht habe, habe ich aus Kassettenbändern geflochten. Damals war ich 11. Ich habe die Dinge eben schon immer irgendwie anders gemacht.
Das würde ja heute auch ganz gut in Ihre Kollektionen passen?
Ja. Ich suche auch tatsächlich gerade jemanden, der Kassettenbänder häkelt. Denn die traditionellen Sachen kann ich nicht. Ich kann nicht stricken. Ich kann nicht häkeln. Aber ich kann alles andere (grinst). Zum Beispiel AutoCAD. AutoCAD ist ein Programm zum Erstellen von 2D- und 3D-Zeichnungen. Kam natürlich sehr stark in der Architektur bzw. Denkmalpflege zum Tragen. AutoCAD ist für mich wie eine dritte Muttersprache. Ich erstelle ja auch die Entwürfe für die „Nuckelsachen“ in AutoCAD. Und ich liebe Mathematik und Geometrie einfach.
Collier in der alten Technik der "Kettenhemden"Das bedeutet, Sie planen Ihre Kollektionen mit einem technischen Zeichenprogramm?
Nur die „Nuckelsachen“. Die meisten Leute denken, ich bohre die Nuckel irgendwie an. Aber die Nuckel-Lampen zum Beispiel sind in Form von geodetischen Kugeln angelegt. Hier benötige ich mathematische Grids und Bohrschablonen, damit ich bestimmte Knicke und Rundungen erhalte. Das habe ich eben aus der Architektur.
Ist das als einziger Anknüpfungspunkt zur Architektur geblieben?
Nein. Eigentlich habe ich das, was ich an der Architektur und insbesondere der Denkmalpflege total gerne mag, auch sehr stark in meine Arbeit als Designerin integriert. Der Denkmalpflegerin in mir ist es ein Anliegen, dass man die ursprüngliche Funktion eines Gegenstands in ihren Designs noch wahrnimmt. Deshalb würde ich zum Beispiel eine Tastatur für meine Entwürfe nie so übermalen, dass sie nicht mehr als solche erkennbar ist.
Würden Sie ihre Kreationen eigentlich als Recycling-Design bezeichnen?
Design-Objekte aus Babynuckeln und Wasserflaschenstöpseln Nein. Mir geht’s nicht um das reine Recycling. Meine Design-Objekte müssen auch eine neue Funktion erfüllen. Grundsätzlich gibt es bei mir zwei große Richtungen. Das ist einmal die sogenannte Transformatrix-Kollektion. So bezeichne ich mich übrigens selbst auch gerne. Denn die weibliche Form von Transformator ist ja die Transformatrix. Hier nehme ich alltägliche Designobjekte, wie alte Schreibmaschinentasten, Babynuckel oder Barbies, aus dem Kontext und wandle sie in neue Design-Objekte um. In Schmuck, Einrichtungsgegenstände oder Accessoires wie Taschen. Und dann gibt als zweite Schiene eben die Chainreaction-Kollektion, bei der ich alte Metalltechniken wie die Kettentechnik anwende, um Schmuckobjekte der heutigen Zeit zu kreieren, auch Kleidungsobjekte. Hier biete ich sogar Workshops an.
Mit dieser Technik haben Sie ja auch im EM-Jahr einen Modedesign-Preis errungen?
Ich habe gemeinsam mit der Modedesignerin Berenika Rührnössl ein EM-Krönungskleid kreiert, wo ich in Plättchenrüstungstechnik mit Kronenkorken ein komplettes Kleid gemacht habe. Unser Siegermodell wurde dann auch in der Schweiz und bei Events präsentiert.
Warum verwandeln Sie gerade Barbies oder Nuckel in Designobjekte und Schmuck?
Sie sind schön! Barbies zum Beispiel mag ich einfach. Ich habe auch wirklich noch keine zwei völlig identen Barbies gesehen. Sie haben unterschiedliche Hautfarben, sie haben unterschiedliche Mundfarben, unterschiedliche Mundstellungen, Augenöffnungen, Augenfarben. Das ist einfach unglaublich. Es gibt eigentlich keine zwei identen Puppen. Die Gesichter von Barbiepuppen werden übrigens mit Acrylfarben handbemalt, zwar in Fließbandarbeit, aber per Hand. Ich kenne den Herstellungsprozess von Barbies ganz genau.
Und wie kam es zu den Nuckeln?
Sie sind auch schön. Meine Silikonnuckel existieren in dieser Form sowieso nicht mehr.
Wie ist das gemeint?
Ich habe 60.000 Nuckel aus einer Konkursmasse aufgekauft. Inzwischen gibt es nur mehr gaumenangepasste Nuckel am Markt und meine sind ja ganz rund. Ich schaue mir eben das Material, mit dem ich arbeite, und auch dessen Geschichte ganz genau an.
Obstschale aus Nuckeln Auch bei den Schreibmaschinen- und PC-Tastaturen, die sie zu Schmuck verarbeiten?
Ja. Schreibmaschinen und Laptops werden, bevor ich sie auseinandernehme, fotografiert und dokumentiert. So passiert es auch, dass wenn mir eine Person die Schreibmaschine vom Großvater bringt, ich einen Ring aus einer Taste für sie mache. Mit diesem kleinen Dankeschön hat sie ein Erinnerungsstück an den Großvater und ich neues Material.
Sie haben eine sehr spannende Biographie. Sie sind ja in der Türkei geboren?
Ich bin in der Türkei geboren, in Istanbul. Als ich 5 Jahre alt war, sind meine Eltern zur Fachausbildung nach Deutschland gegangen. In den 70er Jahren haben die wie wild Anästhesisten gesucht, weil das keiner machen wollte. Als ich dann 13 war, Anfang der 80er-Jahre, hat die deutsche Regierung eine Rückkehrprämie ins Leben gerufen. Als Anreiz, damit Ausländer das Land verlassen. Damals wurden die Pensionsansprüche auf einmal komplett ausbezahlt. Meine Eltern haben das wahrgenommen. Und so sind wir wieder zurück in die Türkei, in eine Heimat, dessen Sprache ich damals nicht mehr konnte.
Sie sprachen überhaupt kein Türkisch?
Nein, denn meine Eltern waren der Meinung, man spricht gefälligst die Sprache von dem Land, in dem man ist. Und ich bin auf keiner türkischen Schule und in keiner türkischen Community gewesen. Ich bin rein mit Deutschen aufgewachsen. Und so sprach ich damals mehr oder weniger Touristen-Türkisch. Ich konnte bis 10 zählen, ich konnte mir im Laden ein Brot bestellen und meinen Namen sagen.
Eine schwierige Zeit in diesem Alter. Wie fühlten Sie sich damals?
Es war sehr schwierig für mich. Man versuchte, mich dann in der Türkei in eine Integrationsklasse zu stecken. Weil zu der Zeit wo wir zurück gingen, kamen sehr viele Kinder aus Deutschland und Österreich zurück. Es gab drei Klassen und in jeder Klasse war ein Viertel bis Drittel „Rückkehrer“. Es wurde sehr viel, wie hier heute, argumentiert, dass die Rückkehrerkinder ja kein gescheites Türkisch sprechen. Dass die Kinder den Unterricht bremsen und das Level sinkt.
Hatten Sie auch einen Bezug zum Islam?
Ohrringe aus Gesichtern von Barbie PuppenMeine Mutter ist eine typische 68er-Atheistin. Sie war ziemlich sauer auf mich, als ich im Alter von circa 13 Jahren dann wirklich viele Religionen durchstudiert habe. Ich habe den Koran und die Bibel gelesen und viele andere Religionen irgendwie durchgeackert. Weil ich wissen wollte, wer ich bin, was ich will. Und sie hat gesagt, was liest du für einen Schund. Und mein Vater ist zwar kein praktizierender Gläubiger, aber geht halt einmal im Monat in die Moschee, versucht sich ans Fasten zu halten, sagte aber auch „Du darfst nix ablehnen, was du nicht kennst“. Meine Eltern vertreten keine normal türkische und auch keine normal konservative Lebenseinstellung. Ich bin auch sehr antiautoritär erzogen worden. Schon meine Urgroß- Mutter war in den 20ern eine Roaring-Twenty-Tussi. Das hat sie dann versucht bei meiner Großmutter wettzumachen, die wurde traditionell erzogen. Schräg war dann erst wieder meine Mutter, die sich mit der Familie verkrachte und in Istanbul studierte. Aber familiengeschichtenmäßig können wir noch lange plaudern, das hält Ihr Aufnahmegerät nicht aus.
Und wie sind Sie dann nach Wien gekommen?
Nach dem Architektur-Studium. Ich habe von der türkischen Regierung ein Stipendium für Denkmalpflege erhalten. Und anstatt wie die meisten nach Amerika zu gehen, habe ich mich für Denkmalpflege in Wien entschieden, hier dann auch in der Forschung am Ludwig-Boltzmann-Institut gearbeitet und bin geblieben.
Haben Sie in Wien Kontakt zur türkischen Community?
Schmuckworkshop: Die Ergebnisse von Teilnehmern Jein. Es gibt natürlich hier, wo sich mein Geschäft befindet relativ viele Türken. Vom türkischen Änderungsschneider bis zum türkischen Döner-Stand um die Ecke. Wobei ich übrigens die einzige bin, die noch die türkische Staatsbürgerschaft hat. Ich habe immer wieder mal Kontakt. Oder ich werde auch mal bei Übersetzungsfragen dazugezogen. Ich pflege auch nachbarschaftlichen Kontakt. Aber das war’s. Ich bin auch hier zu sehr Ausnahme, ich passe da nicht so richtig rein.
Wie sehen sie dann eigentlich das Verhältnis Österreich und Türken? Eigentlich gibt es sehr wenig Berührungspunkte zwischen den beiden Communities, oder?
Also da ich keinen Kontakt mit der türkischen Community habe oder wenig Kontakt, kann ich das nicht so beurteilen. Was mich an der türkischen Community ein wenig stört ist, dass die angepassten Türken, so wie ich und von uns gibt es massig, nicht als Türken wahrgenommen werden, auch nicht von den Österreichern.
Sehen Sie sich selbst als Türkin?
A
Drittel Türkin, ein Drittel Deutsche und ein Drittel Österreicherin eigentlich. Sehr Multikulti. Biologisch gesehen bin ich eben reinrassige Türkin. Aber vom Kulturellen und von der Persönlichkeit her habe ich alle drei Anteile voll vereint. Ich habe ja auch in jedem Land fast 10 Jahre gelebt. Und am längsten in Österreich. Und in Wien werde ich sogar oft als Deutsche wahrgenommen, aufgrund meiner Aussprache. Was ich gar nicht mag ist jedenfalls die Aussage: Du schaust gar nicht aus wie eine Türkin. Weil da denke ich mir: Wie schaut bitte eine Türkin aus? Meistens sage ich dann: „Sorry, mein Kopftuch ist in der Tasche!“ (Lacht).
Claudia Heindl
KONTAKT
Aslihan Atayol
Shop Loyata
Gumpendorferstr. 112.
1060 Wien
Tel. 0664 / 24 107 12
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