Der Tech-Branche fehlen Frauen, weil die Kommunikation unsexy ist
Dr. Isabell Claus im Interview
In weniger als einem Jahr hat Isabell Claus die einzige technologisch unabhängige Suchmaschine Europas gegründet. Seit 2019 führt sie die B2B-Findplattform thinkers.ai und erspart Unternehmen das mühsame Suchen und Finden mittelguter Informationen. Der StadtSpionin hat die studierte Betriebswirtin erzählt, wie die männerdominierte Künstliche Intelligenz (KI)-Branche revolutioniert werden kann, wie der Status quo hinsichtlich Technologie in Österreich und Europa aussieht und, warum es allerhöchste Zeit ist aus unserem digitalen Dornröschen-Schlaf aufzuwachen.
Sich mit dem wichtigsten Platzhirsch im Internet anzulegen, erfordert einiges an Mut. Was hat Sie dazu inspiriert Ihre eigene Suchmaschine zu entwickeln?
Dr. Isabell Claus: Die Idee ist durch ein Projekt für die Wien Energie entstanden. Mein Partner und ich wurden damit beauftragt, eine Plattform für die einfache Findung von Informationen im Technologie-Bereich zu entwickeln. Darin haben wir auch für andere Unternehmen großes Potenzial gesehen, denn jeder kennt das ewig lange Suchen und Finden von mittelguten Informationen. Somit ging es total problemorientiert los und nicht mit dem Hintergedanken, dass wir unbedingt gründen wollten.
Wie lange hat es gedauert dieses Projekt auf die Beine zu stellen und ist es abgelaufen, wie Sie es sich erhofft haben?
Die Recherche-Phase haben wir Anfang 2019 mit Unterstützung der INiTs gestartet. Das war super, denn dort haben auch andere Unternehmen ihre Büros – quasi wie ein Tech-Coworking-Space – und wir konnten sie gut über ihre Suchgewohnheiten und -zufriedenheit ausquetschen, während parallel die Technologie entwickelt wurde. Im Oktober 2019 haben wir dann schließlich thinkers.ai gegründet.
„Thinken“ statt „Googeln“ oder „Bingen“ – was genau unterscheidet ihre Suchmaschine von den bereits Vorhandenen?
Das Problem bei den genannten Big Players ist, dass sie werbefinanziert sind und somit davon anhängig, Kunden möglichst lange auf ihrer Webseite zu halten. Nur dann verdienen sie Geld. Also lassen sie uns alle stundenlang nach Informationen suchen, was für Unternehmen sehr kontraproduktiv ist, denn Zeit ist schließlich Geld. Genau hier setzt thinkers.ai an. Wir suchen anstatt mit Keywords spezifisch nach Kundenwunsch mithilfe von Machine Learning und Advanced Language Processing möglichst genau Ergebnisse raus, stellen sie zusammen und der Kunde hat in Sekundenschnelle seine passgenauen Informationen. Allerdings ist thinkers eher auf komplexere Suchanfragen spezialisiert. Heißt, wenn Sie nach einem indischen Restaurant um die Ecke suchen, sind Sie bei uns falsch. Dafür ist Google super.
Wunsch-Informationen, statt stundenlanger Suche – darauf setzt das Konzept von thinkers.ai
Thinkers.ai verzichtet auf die Nutzung von Nutzerdaten. Woher wissen Sie dann welche Informationen Ihre Kunden interessieren?
Im Vergleich zu den bekannten Suchmaschinen, bei denen die Suche gratis, aber dafür sehr ungenau ist, erwerben Kunden bei uns Nutzungslizenzen. Danach können Sie, wie bei Google & Co. lossuchen. Wenn sie ihre passenden Themen nicht finden, dann legen wir diese für sie an. So müssen wir keine Daten sammeln und der Kunde bekommt ein maßgeschneidertes Angebot.
Ihr Berufsfeld ist nach wie vor eher männerdominiert. Was sind Ihre Erfahrungen als Frau in dieser Branche?
Ich beobachte leider oft, dass sich Frauen schnell zurückziehen, wenn ein Meeting mal nicht so gut gelaufen ist oder das Feedback weniger positiv ausfällt. Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass die Tech-Branche eben als Männer-Branche behaftet ist und Frauen sich daher weniger gute Leistungen zutrauen. Dabei kenne ich viele, die brillant in ihrem Job sind und wir bei thinkers haben einen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil im Unternehmen. Darauf bin ich sehr stolz.
Warum glauben Sie, dass sich so viele Frauen für einen Job in Ihrem Unternehmen bewerben?
Ich denke, dass hat alles sehr viel mit Kommunikation zu tun. Wir legen beispielsweise großen Wert darauf unsere Stellenausschreibungen so zu formulieren, dass sich Frauen willkommen und unterstützt fühlen. Dafür bieten wir etwa ein Mentoring an, bei dem Probleme jeder Art besprochen werden können und man konkrete Tipps bekommt, wie man mit schwierigen Situationen im Berufsalltag künftig umgehen kann. Und natürlich, wie man sich gegenüber männlichen Kollegen erfolgreich behauptet.
Isabell Claus bei Europas größtem Ideen-Hackathon für Gründerinnen XATHON Denken Sie, dass der Frauenmangel in branchenähnlichen Unternehmen daran liegen könnte, dass die Themen KI und Technologie für Frauen oft sehr vage und unverständlich sind?
Absolut. Die Kommunikation ist in diesem Bereich total unsexy. Man hat die Wahl zwischen hochkompliziert und gar nicht erklärt. Es wird einem so leicht gemacht, etwa KI-Tools oder Suchmaschinen zu nutzen, dass man sich niemals fragt, was eigentlich die Technik dahinter ist. Da muss in Zukunft noch sehr viel getan werden.
Was mögen Sie in Ihrem Job besonders gerne und worauf würden Sie lieber verzichten?Mein Steckenpferd ist der Kundenfokus. Mich interessiert es, wie unsere User mit der Plattform zurechtkommen, was wir noch optimieren können, was ist technisch möglich und was bedeutet es für die Planung. Ich schaue mich am Markt um, höre unseren Kunden zu und daraus versuche ich zusammen mit meinem Team das bestmögliche Produkt zu kreieren. Und worauf ich gern verzichten würde – eindeutig die Bürokratie (lacht).
Sie haben in mehreren Ländern gelebt, wie Singapur, UK, USA, die vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland. Wo braucht die österreichische IT-Industrie noch Nachhilfe?
Wir in Wien haben vor allem alteingesessene, große Tech-Unternehmen. Da sind Städte wie Singapur, wo viele junge Menschen leben und viel in Technologie investiert wird, natürlich weitaus mehr am Puls der Zeit. In Europa fehlt aktuell einfach das Know-how, um bei der nächsten Stufe der KI überhaupt mitspielen zu können, weil viel mehr in andere Zweige investiert wurde. Jetzt droht uns die viel weiter entwickelte Technologie aus anderen Ländern und Kontinenten, wie China und den USA, zu überrollen. Da sind wir einfach sehr, sehr spät dran.
INiTS & hervorragende Forschungsförderungen – Wien hat als Standort für KI-Unternehmen einiges zu bietenDenken Sie, dass Wien ein empfehlenswerter Standort für Unternehmerinnen aus der KI-Branche ist?
Wien hat auf jeden Fall einige Vorteile in dieser Hinsicht. Beispielsweise die INiTS, die Wiener High-Tech-Inkubatoren, die vor allem neuen Tech-Unternehmen sehr bei der Gründung, Neukundengewinnung und Förderungen helfen. Wien wird weltweit um dieses Privileg beneidet. Außerdem hat Österreich eine sehr gute Forschungsförderung. Das ist vor allem für Unternehmen, die eine längere Recherchephase durchführen müssen Gold wert. Man hat genug Zeit für die Forschung, ohne diese von Tag eins an durch Kundeneinnahmen wieder einbringen zu müssen.
Künstliche Intelligenz ist für viele Laien noch etwas sehr Futuristisches. Was glauben Sie, wo wir in puncto Technologie in 30-50 Jahren stehen werden?
Man merkt besonders jetzt, wie viel sich im Bereich künstliche Intelligenz tut. Das bedeutet nicht, dass Menschen überflüssig werden, aber die Jobs werden definitiv angepasst werden. Heißt auch „Tech-Laien“ werden sich früher oder später mit KI-Tools befassen müssen, denn sie gehen nicht weg, es werden mehr. Da müssen wir alle aufwachen.
Sind Sie in Ihrer Freizeit auch so techinteressiert wie im Job?
Ich glaube das ist ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr wirklich trennbar. Also ja, mein Interesse für Technologie geht auch noch nach 17:00 Uhr weiter (lacht).
Dr. Isabell Claus setzt sich dafür ein KI verständlicher und vor allem Frauen schmackhafter zu machenWien ist schon lange Ihre Heimat. Was hat Sie hier gehalten?
Ich bin zum Studieren nach Wien gekommen und habe hier auch meinen Mann kennengelernt. Ich finde die Stadt bietet einfach alles, was man sich wünschen kann und meine Erinnerungen an die Studienzeit an der Wirtschafts-Uni sind einfach so schön, ich bin jetzt noch sehr gern dort.
Was ist Ihr Lieblingsort in Wien?
Die neue WU. Das ist ein sehr moderner Ort, an dem viel passiert.
Interview: Justine Lepoix
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BISHER ERSCHIENEN
Isabell Claus, Gründerin thinkers.ai
Sandra Scheidl, Köchin
Marlene Kelnreiter, Käsemacherin
Doris Pulker-Rohrhofer, Geschäftsführerin Hafen Wien
Lisz Hirn, Philosophin und Publizistin
Carla Lo, Landschaftsarchitektin
Ulli Gladik, Dokumentarfilmemacherin
Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren
Barbara van Melle, Slow Food-Botschafterin
Ilse Dippmann, Frauenlauf-Gründerin
Clara Luzia, Singer-Songwriterin
May-Britt Alróe-Fischer, Leiterin des Modepalast
Anita Zieher, Schauspielerin & Theatermacherin
Clara Akinyosoye, Chefredakteurin "fresh"
Elis Fischer, Krimi-Autorin
Cecily Corti, Obfrau von VinziRast
Barbara Glück, Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Ingrid Mack, Erotikfachfrau und Besitzerin von "Liebenswert"
Petra Jens, Fußgängerbeauftragte
Ursula Kermer, Gründerin Muu-Design
Nathalie Pernstich, "Babette's"-Inhaberin & Gewürzpäpstin
Stefanie Oberlechner, Donau-Schiffskapitänin
Christine Kintisch, ehemalige Leiterin der BAWAG Contemporary
Anette Beaufays, Leiterin der Art for Art Kostümwerkstätte
Annemarie Harant, Gründerin der "Erdbeerwoche"
Ulli Schmidt, Geschäftsführerin der Wiener Tafel
Kathi Macheiner, Mode-Designerin "sixxa"
Nuschin Vossoughi, Chefin Theater am Spittelberg
Claudia Krist-Dungl, Geschäftsführerin des Dungl Zentrums Wien
Andrea Brem, Chefin der Frauenhäuser Wien
Christina Zurbrügg, Jodlerin
Gabriele Schor, Leiterin Sammlung Verbund
Frenzi Rigling, Künstlerin
Elisabeth Gürtler, Sacher-Chefin
Margot Schindler, Direktorin des Volkskundemuseums
Friederike Range, Wolfsforscherin
Mercedes Echerer, Schauspielerin
Verena Forstinger, Hoteldirektorin "Style Hotel Radisson"
Karin Troschke, Papierrestauratorin
Gabriele Gottwald-Nathaniel, Leiterin von "gabarage" und Kalksburg
Rahel Jahoda, Therapeutin bei intakt, dem
Zentrum für Ess-Störungen
Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"
Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums
Lama Palmo, buddhistische Priesterin
Elke Krasny, Stadtforscherin
Ingrid Erb, Bühnen- und Kostümbildnerin
Jutta Ambrositsch,
Winzerin in Wien
Monika Buttinger, Designerin "Zojas"
Ketevan Sepashvili, Pianistin