Man sollte auch Tee trinken, wenn einem nach "Shut the fuck up" ist
Seh-Ra Klepits im Interview
Beim Wort „Sommelier“ denkt man meist an Wein – und an Männer. Dass dieser spannende Berufszweig aber immer mehr weibliche Connaisseusen hat und nicht immer nur mit dem beschwipsenden Traubensaft zusammenhängt, zeigt uns Seh-Ra Klepits. Die in Wien aufgewachsene Koreanerin ist Tee-Sommelière mit eigenem Tee-Label Gibun. Der StadtSpionin hat sie erzählt, wie man aus einem Schluck Berge herausschmecken kann, was Kräuter- und Früchte-Tees zu Fakes macht und warum das Traditionsgetränk nicht nur „Ooohm“, sondern auch „Peng!“ kann.
Sie stammen ursprünglich aus Korea. Was sind die größten Unterschiede zwischen der koreanischen und der wienerischen bzw. europäischen Teekultur?
Seh-Ra Klepits: In Wien spielt sich die Teekultur seit jeher vor allem in den hübschen Teehäusern ab. Sie gelten als geselliger Ort, an dem man sich – vor allem, als die Kommunikation noch nicht so einfach war wie heute – traf, um Neuigkeiten und den letzten Klatsch auszutauschen. In Korea ist die Teekultur hingegen zeremoniell geprägt. Teetrinken wurde ursprünglich von buddhistischen Mönchen als Form der Medizin und Meditation eingeführt. Somit gibt es einen viel spirituelleren Hintergrund als in Europa.
Wie würden Sie den Tee-Geschmack der WienerInnen im Vergleich, zu dem der KoreanerInnen beschreiben?
In Wien ist Schwarztee, der mit Milch, Zucker oder Honig angereichert wird sehr beliebt. Das würde man in Korea niemals machen. Dort ist Grüntee der Favorit und er wird pur getrunken. Dazu werden beispielsweise Reiskuchen und andere süße Snacks serviert.
Sie haben eine Ausbildung zur Tee-Sommelière gemacht. Was hat Sie dazu bewegt?
Ich habe mich schon immer für Kulinarik begeistert und mich deshalb gerne in diese Richtung fortgebildet, wie etwa mit einem Barista-Kurs oder einem Cake-Design-Workshop. Ich wollte mich aber gern in einer Thematik besonders spezialisieren. Da haben sicher auch meine koreanischen Wurzeln eine Rolle gespielt, jedenfalls bin für eine sechs-wöchige Ausbildung zur Tee-Sommelière nach London gereist.
Ein ausgeprägter Geschmackssinn wird in der Tee-Sommelière Ausbildung mit vielen Tea-Tastings geschultWorin genau bestehen die Aufgaben bzw. das Wissen einer Tee-Sommelière?
Bei der Ausbildung beginnt man immer mit der Geschichte des Tees, denn sie spielt einen zentralen Aspekt für alle weiteren Schritte. Danach beschäftigt man sich intensiv mit dem Terroir, das ist die natürliche Umgebung, in die der Tee entsteht. Der größte Teil der Ausbildung dreht sich aber natürlich um das Tea-Tasting. Hier lernt man jede Geschmacksrichtung auseinander zu friemeln, zu bewerten, zu vergleichen und alles genau herauszuschmecken.
Und wie lernt man richtig zu schmecken?
Als erstes konzertiert man sich auf das Aroma, wie etwa die Süße oder Herbigkeit des Tees. Dann achtet man darauf, wie lange sich der Geschmack im Mund hält und wie fettig, reichhaltig und lebendig der Körper ist. Jetzt hat man ein Grundbild der Teesorte und ist bereit sich mit den einzelnen Geschmacksrichtungen zu befassen: Ist der Tee scharf? Was für eine Schärfe ist es – eher fruchtig oder kräuterhaltig? Mit ein bisschen Übung schmeckt man irgendwann auch raus, ob neben der Teeplantage Zitruspflanzen gewachsen sind, ob die Umgebung flach oder hügelig war, usw. Selbst Berge, die kilometerweit entfernt sind, kann man irgendwann rausschmecken. Es ist wie eine Landschaft, die Schritt für Schritt im Kopf entsteht – unglaublich faszinierend.
Wie setzen Sie Ihr Wissen als Tee-Sommelière in die Praxis um?
Ich nutze das Gelernte für mein eigenes Tee-Label Gibun. Dafür kreiere ich alle Teemischungen selbst und überlege mir ein Geschmackskonzept. Danach suche ich die Zutaten aus, die den Geschmack in meinem Kopf am besten wiedergeben.
Kann man bei Tee wie bei Wein sagen „Je älter, desto besser“?
Es gibt Sorten, die tatsächlich erst reifen müssen, bevor sie ihren besten Geschmack entfalten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl die südchinesische Teesorte Pu-Erh. Die gepressten Teeblätter sind nach frühestens fünf Jahren richtig reif. Aber die „gängigen Sorten“ sollten nicht länger als zwei Jahre aufbewahrt werden.
Anders als bei Wein spielt bei Tee nicht die Glasform, sondern das Material des Trinkgefäßes eine wichtige RolleWein entfaltet sich je nach Glas-Form unterschiedlich und es gibt für Weiß-, Rot- und Schaumweine unterschiedliche Gläser. Ist das bei Teesorten auch so?
Bei Tee spielt weniger die Form eine Rolle, sondern das Material. Als Faustregel gilt, milde, hellere Tees entfalten sich am besten in Glas- oder Porzellantassen, während herbe, stärkere Tees besser in Keramiktassen oder -becher serviert werden. Schwarztee sollte nämlich heißer getrunken werden als Weiß- oder Grüntee und Keramik hält sie länger warm, da es ein dickeres Material ist.
Tee – lieber warm oder kalt?
Cold-Brew-Tea habe ich erst nach meiner Sommelière-Ausbildung kennengelernt. Wenn man ihn richtig zubereitet, sollte er für sieben bis acht Stunden in den Kühlschrank, daher muss man geduldig sein. Aber für den Sommer finde ich kalten Tee eine super Alternative.
Welche Teesorten eignen sich besser morgens oder abends und warum?
Man sollte bedenken, dass jeder Tee Koffein enthält. Dabei ist Schwarztee am koffeinhaltigsten und eignet sich eher in der Früh, ebenso wie Matcha. Am Abend rate ich zu Oolong-Sorten, da sie sehr mild sind.
Die vielen Gibun-Teesorten bestechen nicht nur mit einzigartigem Geschmack, sondern auch mit ihren schönen VerpackungenHierzulande trinkt man Tee eher zu süßen Speisen. Was für Tees eignen sich aber auch gut zu Fisch, Fleisch und anderen herzhaften Gerichten?
Grüntee passt aufgrund seines frischen Geschmacks hervorragend zu Fischgerichten wie Sushi und unterstreicht dabei besonders schön den fischigen Geschmack. Stärkere Tees harmonieren hingegen gut zu Wild und Schweinefleisch oder allgemein deftigeren Geschichten.
Springen die WienerInnen gut auf Tee an?
Absolut! Ich habe Wien als eine sehr kulinarikaffine Stadt kennengelernt, in der Genuss eine große Rolle spielt. Ich finde die WienerInnen sogar ziemlich experimentierfreudig, was Tee angeht. Ich verkaufe bei Gibun die ein oder andere spezielle Sorte und das kommt sehr gut an.
Was hat Sie in Wien kulinarisch am meisten begeistert und was am meisten schockiert?
Wiener Sachertorte! (lacht) Ich weiß, es ist nicht besonders ausgefallen, aber ich liebe sie heiß und innig. Auffällig ist die ziemlich ungesunde und deftige Hausmannskost. Die vertrage ich nicht sonderlich gut.
Seh-Ra Klepits möchte mit ihrem Label Gibun authentische Tee-Momenten schaffenWas hat Sie zu Ihrem Tee-Label Gibun inspiriert?
Ich wollte mich schon immer selbstständig machen und habe dafür unterschiedliche Konzepte durchdacht, aber die Passion für Tee war immer da. Parallel dazu, habe ich mich oft über diese „Fake-Welt“ aufgeregt, in der wir leben. So vieles ist nicht mehr authentisch. Auf Instagram klatscht sich jeder einen Filter aufs Gesicht und alle machen einen auf happy. Ich möchte mit Gibun einen Appell an die Authentizität und ehrlichen Tee-Momente schaffen. Da sollen auch negative Gefühle Platz haben, man darf sich schlecht fühlen!
Woher stammt der Name „Gibun“?
In Korea gibt es den Satz: „Gibun Ottaeyo?“. Übersetzt bedeutet das so viel wie „Wie ist dein Gefühl“. Das passt perfekt zu dem, was ich mit meinen Tees vermitteln möchte.
Was unterscheidet Ihr Label von anderen Tee-Marken?
Wenn man an Tee denkt, dann assoziiert man damit meist angenehme Augenblicke oder ein Wohlfühl-Programm. Ich will mit meinen Tees aber nicht nur schöne Momente begleiten, sondern auch die richtig miesen. Warum sollte ich nicht eine Tasse Gibun-Tee genießen, wenn mir gerade nach „Shut the fuck up!“ ist?
Tee-Zeremonien müssen nicht immer aufwändig gestaltet sein, sondern sollten laut Seh-Ra regelmäßig Part der Me-Time sein
Machen Sie privat/beruflich Tee-Zeremonien? Wie spielt sich so eine Zeremonie ab?
Im traditionellen Sinne nicht, aber ich habe meine eigene, kleine Teezeremonie. Dafür nehme ich mir ganz bewusst Zeit und mache mir meinen Lieblingstee in meiner schönsten Porzellantasse. Dazu hat mich der koreanische Schriftsteller und Zen-Mönch Haemin Sunim mit seinem Buch „Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst“ inspiriert. Darin schreibt er, dass wir viel zu oft unser schönes Porzellan für die besonderen Momente aufsparen. Dabei sollte man es genau andersrum machen, nämlich jeden Tee-Moment als etwas Besonderes zelebrieren.
Ein schöner Gedanke. Und woran erkenne ich einen wirklich guten Tee?
Erstmal an der Verpackung. Finger weg von Tee in Beutelchen. Es sollten lose Teeblätter sein, die am besten in Blechdosen mit doppeltem Deckel verpackt sind. So bleibt das Aroma am längsten erhalten und die Blätter sind optimal vor Helligkeit geschützt. Außerdem sollte man auf die Sorte achten. Streng genommen dürfen nämlich ausschließlich Sorten, die von der echten Teepflanzen Camellia sinensis gewonnen werden, als Tee bezeichnet werden. Somit sind Kräuter- und Früchte-Tees Fakes. Die Größe der Blätter ist auch ein wichtiges Kriterium für die Qualität. Sie werden von Hand gerollt, bedeutet je größer, desto behutsamer wurde damit umgegangen. Kräuterteemischungen bestehen aus unterschiedlichen Zutaten. Da ist es wichtig zu schauen, ob die Teeblätter gleichgroß sind. Sind sie es nicht, wird jede Tasse anders schmecken und das ist ja nicht Sinn der Sache.
Und wenn man seinen perfekten Tee gefunden hat, wie bereitet man ihn richtig zu?
Das Wichtigste sind die Brühzeit und die -temperatur. Schwarztee wird beispielsweise am heißesten gebrüht, bei 95-100 Grad, Grüntee hingegen sollte nicht über 75 Grad heiß werden. Kocht man die jeweiligen Teesorten zu kurz oder zu lang, zerstört man das Aroma und der Tee wird bitter, schmeckt verbrannt oder entfaltet seinen Geschmack nicht richtig. Außerdem sollten die (natürlich losen!) Teeblätter in einen Teefilter oder ein Teesieb gegeben werden und nach der jeweiligen Einwirkzeit aus der Kanne genommen werden.
Zum Abschluss noch ein kleiner Tipp: Welchen Gibun-Tee trinken Sie am liebsten?
„I usually care today I don’t“ mit Zitronenverbene und Lavendelblüten ist mein aktueller Favorit. Den trinke ich gern über den Tag, weil er einen milden Geschmack hat und ein super Wasser-Ersatz ist. Wenn ich etwas Geladeneres haben möchte, dann wird’s „Thx you Rock“.
Interview: Justine Lepoix
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BISHER ERSCHIENEN
Seh-Ra Klepits, Gründerin Gibun Tea
Isabell Claus, Gründerin thinkers.ai
Sandra Scheidl, Köchin
Marlene Kelnreiter, Käsemacherin
Doris Pulker-Rohrhofer, Geschäftsführerin Hafen Wien
Lisz Hirn, Philosophin und Publizistin
Carla Lo, Landschaftsarchitektin
Ulli Gladik, Dokumentarfilmemacherin
Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren
Barbara van Melle, Slow Food-Botschafterin
Ilse Dippmann, Frauenlauf-Gründerin
Clara Luzia, Singer-Songwriterin
May-Britt Alróe-Fischer, Leiterin des Modepalast
Anita Zieher, Schauspielerin & Theatermacherin
Clara Akinyosoye, Chefredakteurin "fresh"
Elis Fischer, Krimi-Autorin
Cecily Corti, Obfrau von VinziRast
Barbara Glück, Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen
Ingrid Mack, Erotikfachfrau und Besitzerin von "Liebenswert"
Petra Jens, Fußgängerbeauftragte
Ursula Kermer, Gründerin Muu-Design
Nathalie Pernstich, "Babette's"-Inhaberin & Gewürzpäpstin
Stefanie Oberlechner, Donau-Schiffskapitänin
Christine Kintisch, ehemalige Leiterin der BAWAG Contemporary
Anette Beaufays, Leiterin der Art for Art Kostümwerkstätte
Annemarie Harant, Gründerin der "Erdbeerwoche"
Ulli Schmidt, Geschäftsführerin der Wiener Tafel
Kathi Macheiner, Mode-Designerin "sixxa"
Nuschin Vossoughi, Chefin Theater am Spittelberg
Claudia Krist-Dungl, Geschäftsführerin des Dungl Zentrums Wien
Andrea Brem, Chefin der Frauenhäuser Wien
Christina Zurbrügg, Jodlerin
Gabriele Schor, Leiterin Sammlung Verbund
Frenzi Rigling, Künstlerin
Elisabeth Gürtler, Sacher-Chefin
Margot Schindler, Direktorin des Volkskundemuseums
Friederike Range, Wolfsforscherin
Mercedes Echerer, Schauspielerin
Verena Forstinger, Hoteldirektorin "Style Hotel Radisson"
Karin Troschke, Papierrestauratorin
Gabriele Gottwald-Nathaniel, Leiterin von "gabarage" und Kalksburg
Rahel Jahoda, Therapeutin bei intakt, dem
Zentrum für Ess-Störungen
Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"
Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums
Lama Palmo, buddhistische Priesterin
Elke Krasny, Stadtforscherin
Ingrid Erb, Bühnen- und Kostümbildnerin
Jutta Ambrositsch,
Winzerin in Wien
Monika Buttinger, Designerin "Zojas"
Ketevan Sepashvili, Pianistin