Wir sind bekannt als die, die  alles können 
Annette Beaufays im Interview
Sie ist die Herrin über 250.000 Kostüme. Annette Beaufays (63) leitet die Kostümwerkstätten von Art for Art, dem Generalausstatter der Bundestheater. Mit über 100 Mitarbeitern verhalf sie dem kreativen Unternehmen in den letzten 10 Jahren zu internationalem Ruhm. Mit der Stadtspionin sprach die Grande Dame der Kostümkunst über den Umgang mit exzentrischen Stars, Stacheldraht-Tutus und die richtige Unterwäsche für Wiener Ballett-Tänzer.
StadtSpionin: Frau Beaufays, Sie sind ständig von aufwändigen  Kostümen und schillernden Roben umgeben. Was tragen Sie denn privat? 
  Annette Beaufays: Ich trage eigentlich fast nur  Schwarz. Man sagt ja, mit schwarzen Sachen hat man um 80% weniger Ausstrahlung  und weniger Aura als jemand, der ganz in bunt daherkommt. In meinem Beruf steht  man aber häufig neben jemandem vor dem Spiegel und da würde es extrem stören,  wenn ich mich in Türkis oder Pink daneben stelle. Ich sehe mich da eher als  Schatten. Es ist so eine Art Arbeitskleidung geworden.
  Wollten Sie schon immer Kostümbildnerin werden?
    Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber ich wollte  auch nicht so lange von Zuhause abhängig sein. Meine Großmutter, die einen  Couture Laden hatte, nähte Kleider für meine Teddybären. Ich hab ihr schon früh  geholfen und mitgenäht. Auch mein Vater war sehr modeinteressiert – er hat  schon in den 50er Jahren die Vogue und andere Zeitschriften mit nach Hause  gebracht, die ich mir dann ganz fasziniert angeschaut habe. 
  Sie absolvierten die Modeschule Hetzendorf und  waren danach über zwanzig Jahre als freie Kostümbildnerin tätig. Wie hat ihre  Karriere begonnen? 
    Mein großer Mentor und Entdecker ist Andre Heller. Ich  habe Anfang der 70er Jahre bei seinem Circus Roncalli mitgemacht, dort konnte  ich schon die ersten Kostüme entwickeln. Und dann ging es rasch weiter. Später  hab ich dann den Michael Haneke kennengelernt, der mich nach Berlin mitgenommen  hat. So wurde ich bekannt und es kamen auch bald die Anrufe vom Volkstheater  oder der Josefstadt. Grundsätzlich kann man sagen, ich hab einfach voll und  ganz in dieser Theaterwelt gelebt.
  
    Annette Beaufays (Mitte) bei einer Einkaufs- Besprechung in den Kostüm- Werkstätten von Art for Art Und 1993 übernahmen sie  die Leitung der Kostümabteilung der Österreichischen Bundestheater.
    Genau. Als Kostümchefin der Österreichischen Bundestheater  war ich noch sehr viel in den Häusern unterwegs. Ich war beispielsweise zu Peymanns  Zeiten im Burgtheater und unter Klaus Bachler sehr viel an der Volksoper als  Kostümbildnerin tätig. Das hat durch die Ausgliederung aufgehört. 
  Als 1999 aus der Kostümabteilung die Art for  Art Theaterservice GmbH wurde?
    Bei der Ausgliederung war der Name Theaterservice wie ein  Hackl ins Kreuz. Die Identität der Bundestheater ist ja quasi weggefallen und  wir brauchten einen eigenen Namen, ein Logo, eine eigene Identität, um uns nach  draußen zu verkaufen. Wir haben uns dann als Art for Art sehr stark  reorganisiert und ich hab zum Kostüm das Marketing sozusagen als zweites Kind  noch dazu bekommen.
  Und wie hat ihnen dieser Wechsel von der freien  Kreativen ins Management gefallen?  
    Eigentlich war das ein schleichender Vorgang, bei dem die  künstlerische Seite natürlich immer weniger Platz hatte. Das ist einerseits  schade, andererseits bin ich durch die Managementtätigkeit, die ich glaub ich  ganz gut mache, sehr ausgefüllt. Und ich hab ja dazwischen auch immer mal für  den Heller einige Sachen mit Jessye Norman und auch mit Michael Haneke „Die  Klavierspielerin“ und den „Don Giovanni“ in Paris gemacht. 
  
    In der Kostümmalerei werden neue Kostüme auf alt getrimmt Was ist Art for Art?
    Art for Art ist die Servicestelle der Bundestheater. Wir  statten die größten Bühnen Österreichs aus. Aber auch internationale Häuser und  Festivals oder Fremdaufträge. Organisiert sind wir in den  Dekorationswerkstätten, Kostümwerkstätten, dem Kartenvertrieb und dem Facility  Office. Jede Abteilung ist ein eigenständiges Profit Center, wie eine eigene  Firma im Rahmen von Art for Art. Die Kostümwerkstätten, die ich leite, bestehen  wiederum aus fünf Abteilungen, die sich alle als kleines Geschäft sehen. 
      Sozusagen 5 Mode- Manufakturen?
      Allesamt ausgezeichnete Handwerksbetriebe! Wir haben die  Damen- und Herrenschneiderei, die faktisch den Großbetrieb ausmachen. Die sind  sehr gut und arbeiten hochqualitativ. Dann gibt es die Schumacher, die aber  weit mehr als nur Schuhe machen. Auch Rüstungen, Gürtel oder Sondergeschichten  wie Masken in Koproduktion mit der Modisterei.
  
    Hutkreationen in der ModistereiDas Wort „Modisterei“ kennt ja heute kaum noch  jemand!
  Die   Modisterei sind unsere Hutmacher. Ein Handwerksbetrieb, wie man ihn so  kaum mehr finden wird. Hier werden zum Beispiel Tierköpfe gemacht, die absolut  hinreißend sind. Die leben fast. Wir haben etwa für das „Magnifico“ von Heller  ein Teddybärkostüm gemacht. In dem Gesichtsausdruck des Bären sieht man dann  förmlich die Liebe, die die Menschen in ihr Handwerk stecken. Ja, und in der  Kostümmalerei wird dann aus dem, was aus den Werkstätten kommt, das fertige  Kostüm gestaltet. Das heißt, hier wird zum Beispiel ein Kleid schmutzig gemacht  oder auf alt getrimmt.
  Sie benötigen ziemlich viele Materialien, oder?
    Richtig, der Einkauf ist natürlich ganz zentral. Er ist  quasi das Herz unserer Abteilungen. Wir besitzen eine unglaubliche Fülle an  Stoffen, Bändern, Borten, Knöpfen, Hutformen, Stumpen und Swarovski- Steinchen  in unseren Werkstätten.
  Und wo werden die fertigen Kostüme gelagert?
  Art for Art besitzt einen wunderschönen, modernen Fundus.  Hier werden an die 250.000 Kostüme auf über 10 000 qm gelagert. Wir haben ihn  in einem großen Umbau modernisiert, er ist sehr gut sortiert und aufgeräumt.  Mir war wichtig, dass sich die Kostümbildner dort gerne aufhalten. Je wohler  sie sich dort fühlen, desto mehr holen sie auch aus dem Fundus heraus. Die  Bundestheater nutzen den Fundus sehr stark.
  Wie lagert man denn so unvorstellbar viele  Kostüme über die Jahre hinweg?
  Wichtig ist eine gute Umluft- und Entstaubungsanlage. Und  wenn Kostüme rausgehen und zurückkommen, werden sie sorgfältig gereinigt. So  wird nach und nach der gesamte Fundus gereinigt und gewartet.
  
    Am Anfang: Schnitt- Zeichnen in der SchneidereiArt for Art hat es ja in relativ wenigen Jahren  geschafft, im internationalen Vergleich, eine „bedeutende Nummer“ zu werden?
  Sehr bedeutend. Also das haben wir wirklich geschafft.  Wir haben viele Produktionen im Ausland gemacht. Meine Kostümmalerei ist auch  an der Met sehr gefragt, wo wir zum Beispiel „Carmen“ gemacht haben. Was uns im  internationalen Vergleich auszeichnet, ist unsere Gesamtheit. Bei uns ist alles  unter einem Dach. Von den Schneidereien bis zur Kostümmalerei. Wir sind in der  Branche als die bekannt, die noch alles können, und dementsprechend bekommen  wir auch besondere Aufträge.
  Zum Beispiel?
  Eine witzige Anfrage kam einmal aus Zürich wegen eines  Stacheldraht- Tutus. Da wir ja keine echten Stacheln nehmen konnten, haben wir  einen dünnen Reifen entworfen und sorgfältig kleine Plastikstacheln  aufgebracht. Das Tutu ist ein kleines Kunstwerk geworden.
  
Herrenschneiderei: Arbeit an einem OpernkostümSie richten sich in ihrer Arbeit ja nach den  Wünschen und Vorstellungen von Regisseuren. Wie ist es, mit exzentrischen Stars  zu arbeiten?
  Da ist jeder anders. Die Arbeit an den Valentino-  Kleidern für das Neujahrskonzert 2010 war allerdings schon eine besondere  Sache. Er kam mit einer Entourage von Fotografen und Kameras und wir hatten nur  knapp zwei Stunden Zeit für die Besprechung. Als wir seine Zeichnungen sahen,  waren wir zuerst einmal sprachlos. Ich sah natürlich sofort, wie schwierig das  war und wie teuer. Wir hatten uns etwas ganz Anderes erwartet. Es war eine  große Herausforderung, die Leichtigkeit der aufwändigen Couture- Kleider  hinzubekommen. Auch die  Oberteile  waren mit Tüll überzogen und wir hatten Angst, dass dieser bei den Hebungen  reißt. Aber es ist alles gut gegangen.
  Wie erleichtert ist man dann?
  Sehr erleichtert. So ist unsere Arbeit. Sie ist manchmal  sehr nervenaufreibend und schrecklich und raubt einem den Schlaf. Aber wenn es  dann ein Erfolg ist, ist die Anstrengung und Aufregung vergessen und man kann  den Erfolg genießen. Wäre das nicht so, könnte man das ja gar nicht überleben  (lacht). Wir haben jedenfalls bei der Arbeit für Valentino sehr viel über  Couture gelernt und über Tüll.
  Das heißt, auch Sie lernen immer wieder etwas  dazu?
  Das Schöne an meinem Beruf ist, dass man immer wieder vor  neue Herausforderungen gestellt wird. Wenn ich zum Beispiel für eine  Ballettproduktion arbeite, wo es Mascherl, Rüscherl, Banderl und Borterl gibt,  dann ist das gerade für mich als Puristin eine ganz neue Herausforderung. Und  da kann ich natürlich viel lernen über das Ballettkostüm an sich, über  Proportionen und darüber, was in der Bewegung auf der Bühne tolle Effekte  erzielt.
  Die Kostüme müssen ja nicht nur schön und  passend sein, sondern vor allem auch funktionell, oder?
  Funktionalität ist das Um und Auf. Die Sänger,  Schauspieler und Tänzer müssen sich damit auf der Bühne bewegen können und sich  wohlfühlen. Ein Kostüm, das nicht funktioniert, ist kein gutes Kostüm. Das  Staatsballet verwendet die Trikots, die unsere Wäscheabteilung herstellt genau  aus diesem Grund. Die Schnitte und die Art, wie wir die Trikots verarbeiten,  sind ihnen am angenehmsten. Man muss sich vorstellen, dass so ein Trikot wie  der Anzug eines Skifahrers oder Spitzensportlers ist – wenn es nicht passt,  kann der Tänzer auch nicht richtig tanzen.
  
Alles Handarbeit: ein Kleid bekommt den letzten Schliff Sie führen ein Team mit über 100 Mitarbeitern.  Wie sind Sie denn als Chefin?
  Keine Ahnung. Ich bemühe mich. Wenn es darum geht, dass  ich eine nette Chefin bin, weil ich immer so freundlich grüße, dann bin ich  wahrscheinlich keine nette Chefin. Aber ich glaube, dass wenn jemand ein  Problem hat, er jederzeit zu mir kommen kann und dass ich dann helfe, wo ich  kann. Ich versuche, die Leute mir ihren Problemen nicht alleine zu lassen.  Irgendjemand sagte einmal, ich sei wie die Feuerwehr. Ein anderer sagte, ich  hätte die Herzlichkeit hereingebracht. Das hat mich sehr gerührt.
  Zu ihrer Privatperson: Woher kommt eigentlich  ihr außergewöhnlicher Name?
  Ursprünglich aus Belgien. Beaufays ist ein Ort in der  Nähe von Lüttich. Mein Großvater, ein Sprachenprofessor ist nach Deutschland  gegangen. Mein Vater hat in Münster Medizin studiert. Nachdem er 1961 bei einem  Autounfall ums Leben gekommen ist, ist meine Mutter mit meinem Bruder und mir  nach Wien gegangen. Ich war damals 13 Jahre alt. Meine Mutter war sehr viel  unterwegs und hat die Welt bereist und auch mein Bruder hat Wien wieder  verlassen. So bin ich irgendwie übrig geblieben. Ich wäre wahrscheinlich nicht  hier in Wien geblieben, wenn mir nicht der Andre Heller begegnet wäre. Ich hab  Wien damals nicht mögen.
  Mögen Sie Wien jetzt?
  Jetzt kann ich mir keine andere Stadt mehr vorstellen, in  der ich leben möchte. Ich war mit dem Haneke eine Zeit lang in Paris. Eine  wunderschöne Stadt, aber nicht meine Energie. Ich war so froh wieder in Wien zu  sein. Wien wird auch immer schöner und ist 
von einer unglaublichen  Lebensqualität. Man ist schnell draußen, aber auch das Spazierengehen in der  Stadt ist schön und ich entdecke immer wieder Neues.
  Sie gehen in bald in Pension. Was haben Sie  denn dann vor?
  Mein Mann und ich würden gerne Reisen. Ich war ja zwei  Jahre in Australien, da würde ich gerne noch einmal hin und vor allem möchte  ich gerne einmal nach Neuseeland. Vielleicht ziehen wir einfach los und gondeln  langsam wieder zurück.
  Stimmt es, dass Ihr Mann schon Ihre Jugendliebe  war und Sie sich Jahre später wieder getroffen haben?
  Ja, mein Mann und ich waren in einer studentischen  Clique, waren auch verlobt und es war irgendwie von Anfang an klar zwischen  uns. Dann kamen die 68er, mein Freiheitsdrang und ab in die Kunstwelt. Mein  Mann hat Medizin studiert und das war nicht sein Ding. So sind wir verschiedene  Wege gegangen und haben uns nach 30 Jahren wieder getroffen. Wir haben uns ein  paar Mal gesehen und plötzlich war das Gefühl von damals wieder da. Dann ging  es sehr schnell und darüber sind wir sehr froh. Das ist auch der Grund dafür,  dass ich aufhör. Wenn ich alleine wäre, würde ich vielleicht weiter arbeiten.  Aber mein Mann geht auch bald in Pension und wir wollen ja dann auch zusammen  sein und die Zeit miteinander genießen. Man sollte das Glück nehmen, das einem  gegeben wird.
Eva Maria Wagner
  (April 2012)  
  
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  A-1010 Wien
  www.artforart.at 
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Christine Kintisch, ehemalige Leiterin der BAWAG Contemporary
Anette Beaufays, Leiterin der Art for Art Kostümwerkstätte
    
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Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
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Jutta Ambrositsch, 
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Ketevan Sepashvili, Pianistin
    
  


