Stadtgespräch


Seit Beginn meiner Zeitrechnung gehöre ich zu Österreich

Clara Akinyosoye im Interview

Clara Akinyosoye ist 26 Jahre jung und Chefredakteurin von „fresh“, dem ersten österreichischen Magazin für Afro-ÖsterreicherInnen, das im Juli 2014 erstmals erschien. Sie engagiert sich gegen Diskriminierung, Rassismus und Sexismus speziell gegenüber schwarzer Frauen. Mit der StadtSpionin spricht sie über Vorbilder, Zugehörigkeitsgefühl und darüber, wie wichtig so ein Lifestyle-Magazin nicht nur für Afro-ÖsterreicherInnen ist.

Die StadtSpionin Clara Akinyosoye StadtSpionin: Clara, du bist als Schwarze in Wien geboren und aufgewachsen – was ist deine Identität, als was bezeichnest du dich? Als schwarze Österreicherin, als Schwarze in Österreich, als Österreicherin?
Clara Akinyosoye: Ich bin Österreicherin, ich bin eine Journalistin, ich bin eine Frau. Das sind eher die Dinge, die mich ausmachen. Ich bin auch eine schwarze Frau.
Wann warst du dir darüber bewusst, dass du eine schwarze Frau bist?
Diese präzise Beschreibung kommt daher, dass man irgendwann im Laufe der Zeit in Österreich, wenn man schwarz ist, durch die Außenwelt gezwungen wird sich zu definieren, sich zu positionieren. Wer bist du? Was bist du? Wo gehörst du hin? Und dann überlegt man sich: Wo gehöre ich also hin? Bin ich Nigerianerin, Afrikanerin, Schwarze? Für mich ist das von der Definition her so: Ich bin eine schwarze Österreicherin mit nigerianischen Wurzeln.
Wie geht man damit um?
Wenn man dich auf deine Hautfarbe stößt, du es irgendwann bemerkst, dann macht das was mit dir. Und es kommt darauf an, wie du es aufnimmst. In Wahrheit wächst du in Wien auf, gehst in den Kindergarten, in die Schule, in den Hort, hast deine Hobbys, lebst mit deinen Freunden und Freundinnen, es ist alles ganz normal, du unterscheidest dich überhaupt nicht von den Anderen – in deiner Wahrnehmung.
Und plötzlich wirst du damit konfrontiert...
... und sei es durch die Frage „Wo kommst du her?“ – irgendwas an dir erweckt den Eindruck, dass du nicht von hier bist! Und dann stellt man sich selbst  StadtSpionin Wien Fresh
fresh - das erste Lifestyle-Magazin für Afro-ÖsterreicherInnnen.
die Fragen „Was ist es? Warum bin ich doch nicht von hier? Wie und wo soll ich mich einfügen?“. Diese Fragen muss dann jeder für sich selbst beantworten.

Es heißt ja oft, Kinder sind zerrissen oder zwischen den Kulturen aufgerieben.
Das ist den Kindern doch wurscht! Das kommt erst durch die äußeren Ansprüche, die versuchen, dich einzuordnen, die von dir wollen, dass du dich einordnest.
Es mag interessant sein, für welche Fußballmannschaft man ist. Aber wenn es um Identität geht, dann ist man oft schon weiter. Dann ist man nicht nur bei einem Land.
Hat euer Magazin in dieser Hinsicht einen Auftrag? Wir versuchen die Generation darzustellen, die gewisse Traditionen, Kulturen, Sprachen miteinander vermengt und vermischt. Die nicht von sich sagen, ich bin nur Österreicher oder ich bin nur Senegalese – sondern die sagen, ich bin beides oder keins von beiden, oder etwas dazwischen.
Anfang Juli hast du die allererste Ausgabe von „fresh“, dem ersten österreichischen Magazin für Afro-ÖsterreicherInnen, in der Hand gehalten. Wie hat sich das angefühlt?
Ich war leider nicht in der Druckerei dabei, man hat mir aber ein Foto direkt aus der Druckerpresse geschickt. Und das war ein sehr schönes Gefühl! Mein Herz schlägt für Print, auch wenn ich sehr lange im Onlinejournalismus gearbeitet habe. Das ist ein ganz anderes Gefühl – zu wissen, es muss nichts mehr geändert werden, es muss kein PDF mehr gewälzt werden, bald kommt die erste Nummer, bald habe ich es in den Händen! Wie es dann geliefert wurde und ich gesehen habe, wie schön es ist (lacht) – da habe ich mich wirklich gefreut!
Hattest du Bedenken?
Wir haben uns davor überlegt, wie es zu Beispiel mit dem Papier sein wird, ob es dann schön genug ist. Die Bilder wurden von tollen Fotografen gemacht und wir haben einfach gehofft, dass das dann auch wirklich so rüberkommt. Ist ja jetzt kein Hochglanzpapier, aber es sieht gut aus. Ich bin zufrieden!
Wen wollt ihr mit „fresh“ erreichen?
Wir versuchen hier einen kleine Spagat. „fresh“ ist  StadtSpionin Wien Fresh
Pressekonferenz zum Start von fresh im Juli 2014.
ein Magazin, das nicht nur Schwarze ansprechen soll. Wir versuchen, über Afro-Österreicher oder nur Schwarze hinwegzukommen und die Leute, die nicht in dieser Community aufgewachsen sind, trotzdem abzuholen. Ich freu mich, wenn Leute sagen, „Das g’fallt ma wirklich sehr gut“. „fresh“ hat einen Schwerpunkt: Es ist ein Magazin für Afro-ÖsterreicherInnen, für schwarze Menschen oder für diesen Lifestyle. Darüber hinaus soll es ästhetisch sein, es soll den Leuten gefallen und sie sollen zu lesen beginnen, weil sie die Geschichten dahinter spannend finden.
Ihr adressiert also hauptsächlich Afro-ÖsterreicherInnen, grenzt euch aber als Lifestyle-Magazin ganz klar davon ab, ein Mittel zur Integration zu sein. Warum?
Wir sind in erster Linie kein Mittel zur Integration, aber wir können trotzdem bei der Integration helfen. Wir wollen Vorbilder zeigen, Menschen, die hier in Österreich leben und etwas geschafft haben. Geschafft nicht im Sinne, dass jemand unheimlich viel Geld verdient oder ein Star ist wie David Alaba. Sondern das kann genauso gut ein Bäcker sein oder eine Krankenschwester – Menschen, die Einblicke zeigen in ihren Alltag, wie sie leben, was sie hier tun.
Und was wollt ihr damit bewirken?
Wir hoffen, dass ein gewisses Empowerment unter jungen Menschen stattfindet. Auf Grund dessen, dass sie hier in einer Gesellschaft leben, in der sie in der Minderheit sind und sagen „Ich hätte schon gern eine Orientierung, ich brauche etwas, wo ich mich anhalten kann.“ Und wenn unser Magazin zu einer besseren Orientierung beiträgt, bin ich sehr froh. Aber bei uns gibt’s jetzt nicht die 10 besten Tipps für eine gelungene Integration. Wir sind eine Stufe weiter.
Was sagst du persönlich zu dem Thema Integration?
Es nervt mich so. Ich, Clara, bin in Wien geboren. Was für eine Integration? Wie soll ich mich noch integrieren? Es gibt so viele Menschen die hier geboren sind, die als kleine Kinder hierher gekommen sind. Sie müssen kein Deutsch lernen, keine Integrationskurse machen oder sich darüber informieren wie die Gesellschaft funktioniert.
Sie wollen nicht mehr wahrgenommen werden als irgendwelche Fremde. Das sind schwarze Österreicher, das sind Menschen, die hier schon seit Ewigkeiten dazugehören! Ich sag immer „Seit Beginn meiner Zeitrechnung gehöre ich zu Österreich, wohin also soll ich mich integrieren?“. Mag sein, dass die Menschen, die jetzt zugewandert sind, sich in einem Österreich integrieren müssen, in dem ich schon seit 26 Jahren existiere. Ich aber muss mich nirgends reinfinden, ich bin hier schon Ewigkeiten.
Eurem Magazin sieht man das an: Ihr schreibt zum Beispiel nur auf Deutsch, was allerdings auch auf Kritik stößt. Wie sagt ihr dazu?
Ich sag dazu ganz deutlich, wir wollen ein Magazin sein, dass sich an schwarze Menschen in Österreich und an die österreichischen Gesellschaft im Allgemeinen richtet. Insofern Die StadtSpionin Fresh
Die Redaktion von fresh hält die erste
Ausgabe in Händen.
liegt es für mich auf der Hand, dass wir es in der Landessprache machen.
Ihr habt auch eine Website. Wäre es möglich, dort zum Beispiel englische Inhalte anzubieten?
Ich habe kein Problem damit, Online zweisprachige Inhalte anzubieten. Wir haben auch im Magazin eine Grußbotschaft, die auf Englisch ist. Solche Sachen sind natürlich möglich. Aber Deutsch ist die Sprache, in der wir uns in Wahrheit unterhalten. Englisch natürlich auch, aber es gibt vielfältige Sprachen, die von dieser Community abgedeckt werden und ich denke: Der gemeinsame Nenner bei den meisten ist Deutsch. 
Wie hat deine Familie auf „fresh“ reagiert?
Meine große Schwester macht selbst auch mit – sie ist für den Vertrieb und das Markting zuständig. Unsere Eltern freuen sich total. Sie haben ja die Arbeit dahinter gesehen, zumindest haben sie mich nicht mehr gesehen (lacht). Wir haben ja seit Jahren immer wieder erwähnt, dass wir so etwas gerne machen würden, dass das wichtig ist. Und sie wissen, dass es in anderen Städten, wie zum Beispiel in London, ein anderes Bewusstsein dafür gibt.
Sie hoffen, dass alles weiterhin gut läuft, auch mit der zweiten Ausgabe und wie auch immer es dann weitergehen wird. Sie sind schon sehr gespannt. Meine Mutter hat auch schon einem Versicherungsvertreter unser Magazin in die Hand gedrückt und gesagt, er soll es seinen Kollegen mitbringen (lacht).
Deine Eltern kommen aus Nigeria. Woher genau?
Sie kommen beide aus Ondo. Das ist eine kleine Stadt, aber immer noch groß genug, zirka drei Autostunden von Lagos entfernt. Dorthin wollen sie auch zurück, wollen dort alt werden – sie bauen schon seit Ewigkeiten ein Haus. Das ist zwar schade, aber ich verstehe es.
Warst du schon dort?
Ja, ich war schon dort, so ca. vier Mal in meinem ganzen Leben. Das letzte Mal war 2011, als meine Großmutter gestorben ist, also kein so schöner Anlass.
Und hast du einen Lieblingsplatz in Ondo?
Ich hab total schöne Erinnerungen an meine Großmutter. Ihr Haus war ein Ort, an dem ich mich sehr wohlgefühlt habe. Dort habe ich zum Beispiel meine Angst vor Hunden verloren – ich hatte erst totale Angst, aber irgendwann bin ich dann mit ihrem Hund herumgekugelt (lacht).
Was ist dein liebster Platz in Wien?
Ich liebe den Augarten. Ich bin gegenüber vom Augarten aufgewachsen, dort hab ich gehen und Radfahren gelernt. Grundsätzlich, wenn im 2. Bezirk bin, im Bereich Taborstraße/Karmelitermarkt, in diesem Viertel, da fühl ich mich sehr wohl, das ist meine Lieblingsgegend. Es gibt in Wien viele schöne Orte, aber wenn ich einen richtig anstrengenden Tag hatte und nur noch nach Hause wollte, bin ich einfach zu Fuß durch Die StadtSpionin Fresh
Foto-Shooting für fresh: Julia-Aisha Diallo trägt ein Dirndl von Noh Nee und wird von Magdalena Possert fotografiert.
den 2. Bezirk gegangen und dann war es besser. Ich war dadurch zwar erst eine halbe Stunde später daheim, dafür aber mit besserer Laune. Das hab ich so extrem sonst eigentlich nirgends.
Die erste Ausgabe eures Magazins ist ja gratis und hat 8.000 Stück Auflage. Wie viele habt ihr noch auf Lager?
Es kommen so viele Anfragen, wir haben bald keine Magazine mehr!
Bereitet ihr schon eifrig die Herbst/Winter Ausgabe vor?
Eine Modestrecke haben wir schon fix. Die ist noch top secret, wird aber hübsch!
Der Rest ist offen – noch. Ein paar Ideen sind im Kopf, aber wir setzen uns erst im August wieder zusammen. Da besprechen wir dann auch, was bei der ersten Ausgabe gut, und was nicht so gut gelaufen ist. Bis dahin hab ich ein bisschen Ruhepause.
Warum sollte ich als Nicht-Afro-Österreicherin öfter mal die Afro-Brille aufsetzen?
Ich bin froh, dass sich der Begriff der Afro-Brille so eingeschlichen hat! Ich glaube, es ist an der Zeit für einen Perspektivenwechsel. Es gibt auf der einen Seite diese negative Berichterstattung. Schwarz im Sinne von schwarze Menschen in Afrika, Krieg, Zerstörung, Flüchtlinge, Lampedusa, Drogen, Rassismus.
Alles unangenehme Themen...
Ja. Aber auf der anderen Seite ist es den Leuten ein Bedürfnis, etwas anderes zu sehen! Schwarze Menschen in Österreich leben nicht in einer traurigen Welt, in der es nichts Gutes gibt! In der man sich immer nur mit Krieg und Rassismus beschäftigt. Es gibt so viele alltägliche Sachen jenseits der Integrationsdebatte zu sehen. Schwarze Menschen gehören einfach zu Österreich. Das zu erkennen, da hilft die Afro-Brille. Welche Themen und Zugänge an Nicht-Afro-ÖsterreicherInnen vorübergehen, weil sie einfach nicht hinsehen – weil sie auch gar nicht hinsehen können, da es ja jenseits ihres Alltags stattfindet! Da kann man sie ein bissl drauf stoßen und ich glaub auch, dass das doch viel mehr Menschen interessiert als man vielleicht jetzt noch glaubt. 
Wie anders ist dein Wien?
Ich glaub, ich weiß erst wie anders mein Wien ist, wenn wir es auf Papier gebracht haben. Und wenn man dann sieht, wie anders es ist – durch den Blick von Menschen die sagen „das hab ich so noch nie wahrgenommen“. Das wird auch für uns interessant sein. Unseren Lebensalltag, unsere Normalität, die sich zeitweise natürlich von anderen österreichischen Normalitäten unterscheidet, abzubilden. Und wie spannend das sein kann: zu sehen, was unterschiedlich und was in Wahrheit genau gleich ist!

Patricia Astor
(August 2014)

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