Stadtgespräch


Ich reise zwischen den Welten

Ursula Kermer im Interview

Ursula Kermer (34) pendelt zwischen Afrika und Wien. Die Anthropologin ist Gründerin von Muu-Design und macht Mode zur Brücke zwischen den Kulturen: Nach dem Design europäischer Modemacherinnen nähen SchneiderInnen in Agadez (Niger) Mode aus den traditionellen Stoffen ihrer Heimat. Seit 2008 bringt das völkerübergreifende Projekt afrikanische Fashion nach Österreich. Mit der StadtSpionin sprach die Vielgereiste über die verschlüsselten Codes von Mustern und die Freiheit unter afrikanischem Himmel.

ursula kermerStadtSpionin: Agadez ist ein multi-ethnisches Städtchen im Niger. Was macht diesen Ort so magisch?
Ursula Kermer: Das Licht! Wenn nicht gerade ein Sandsturm wütet, ist immer klare Sonne, die Luft ist trocken...es ist eine ganz eigene Stimmung. Und die Beziehung zu den Menschen! Ich fühl mich dort ganz nah am Leben.
Können Sie dieses Lebensgefühl beschreiben?
Die Straßen sind staubig und viele Häuser aus Lehm gebaut. Viele Menschen gehen zu Fuß, alles ist sehr belebt, es gibt viele kleine Läden und viele Mopeds. Und am Markt herrscht ein richtiges Gewusel!
Haben Sie denn schon immer vom Niger geträumt?
Nein, das war keine Region, die mich während des Studiums interessiert hat. Durch Zufall habe ich eine Österreicherin, Eva Gretzmacher, kennen gelernt, die seit mittlerweile 17 Jahren dort lebt. Sie hat mir einen Floh ins Ohr gesetzt, dass ich meine Diplomarbeit dort schreiben könnte. Dann hat mich dieser Gedanke nicht mehr losgelassen und ich war vier Monate im Niger zur Recherche. Seither bin ich jedenWinter 2 - 4 Monate dort gewesen. Nur heuer mache ich mal Pause...
Aus dem Kurztrip ist eine Lebensaufgabe geworden und aus der Anthropologie ein Design- Projekt.
Ja stimmt (lacht)! Die Eva Gretzmacher hat damals schon ein Schneiderinnen- Projekt geleitet. Ich hab diese Dynamik gesehen und daraus ein Projekt formuliert.

Völkerverständigung ist auf mehreren Ebenen möglich. Warum haben Sie denn gerade Mode als Kommunikationsmittel gewählt?
Zuerst haben mich diese Stoffe sehr beeindruckt! Und Nähen ist ein Handwerk, das mir sehr zugänglich ist. Für mich geht’s da auch nicht so um den Designprozeskermer  StadtSpionin Wien
Faszination Wax-Print-Stoffe:
Fast alle werden in Nigeria
hergestellt
s. Mein Fokus ist das Thematisieren von Kleidung als kultureller Ausdruck und das Brücke- Bauen zwischen den Welten.
Aber wie kann Mode Brücken bauen?
Ganz einfach dadurch, dass Mode so viele Richtungen erschließt. Ein historisches Beispiel: Die typisch afrikanischen Wax-Print-Stoffe führen nach Indonesien zur Batik. Oder etwas Aktuelles: Der Einfluss Chinas auf Afrika spiegelt sich in der Stoffproduktion wider. Durch Mode versteht man globale Verbindungen.
Mode kann also Welten verbinden.
Ja, ich würde Muu- Design gerne überhaupt globalisieren. Agadez ist der Beginn. Die Stoffe haben mich zu anderen Ländern geführt. Die Batikstoffe zu Indonesien zum Beispiel. Ich hab auch einen tollen Kontakt zu einem Projekt in Südindien, da gibt’s eine Frauengruppe, die Schmuck aus Sari- Resten macht. Und denen hab ich jetzt afrikanische Wax- Print- Stoffe geschickt und bin sehr neugierig, wie die Frauen in Indien auf den Stoff reagieren. Da gehen die Verbindungen grad kreuz und quer.
kermer interview
Bunte Sprachrohre: Die Muster
enthalten verschlüsselte
Botschaften

Die afrikanischen Wax-Print-Stoffe sind farbenfroh und wild gemustert. Enthalten die Muster Botschaften?
Ja, sie sind wie eine eigene Kommunikationsebene. Frauen tätigen über die Muster, die sie tragen, bestimmte Aussagen. Farbe, Muster oder Schnitt sagen oft viel über Alter oder Standeszugehörigkeit aus. Stoffe werden auch als Werbemittel eingesetzt: für politische Kampagnen oder kulturelle Ereignisse.
Wie kann man sich das vorstellen?
Es gibt historisch sehr bedeutsame Stoffmuster. Eines der Gängigsten: ein Stoff, auf dem einzelne Finger abgebildet sind und eine Hand mit Münzen. Das symbolisiert die Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Man erkennt daran manchmal auch, woher die Menschen kommen. Orte, die an Flüssen liegen, weisen mehr Fischmotive auf.
Wie funktioniert eigentlich Ihre Arbeit vor Ort?
Ich habe in Agadez ein Netzwerk von SchneiderInnen aufgebaut, mit denen ich zusammen arbeite. Und es gibt das Kompetenzzentrum AMANAY Agadez, wo es vor allem darum geht, Fähigkeiten zu vermitteln und Arbeit zu schaffen. Wir haben viele Frauen, die dort nähen lernen und nigrische Männer, von denen sie ausgebildet werden. Es sind vor allem Männer, die nähen können, weil es ihnen von französischen Entwicklungsorganisationen in den 90ern beigebracht wurde.
Und wie sieht es mit den Frauen aus? Haben die überhaupt Zeit, regelmäßig zu arbeiten?
Naja, sie sind meistens sehr involviert in Haushalt, Familie und Frauen- Communitys. Es ist dort ganz wichtig, dass man zu den Festen von Freunden und Nachbarinnen geht: Namensgebungsfeste, Hochzeiten, Begräbnisse. Das sind auch Möglichkeiten, wirtschaftlich aktiv zu sein. Frauen, die nähen können, machen Kleider und verkaufen die dann auf solchen Festivitäten. Es ist wichtig, Geld in Umlauf zu bringen und ein kleines Einkommen zu erwirtschaften.
Aber wie arbeiten Sie mit Frauen, wenn die so beschäftigt sind?
Wir haben mit dem Frauenatelier einen Mittelweg gefunden, wo die Frauen flexibel kommen können und auch oft ihre Kinder mitbringen. Die Frauen können sich das einteilen, sie müssen nicht jeden Tag da sein..
Informationsmaterial kermer StadtSpionin Wien
Designt von Modemacherin Dörte Kaufmann, genäht von einer nigrischen Schneiderin
Die nigrischen SchneiderInnen bekommen Schnitte vorwiegend österreichischer und deutscher DesignerInnen vorgelegt. Mittlerweile konnten Sie auch bekannte ModemacherInnen wie Dörte Kaufmann für das Projekt gewinnen. Wie reagieren die Leute, wenn sie die Entwürfe sehen? Teilen sie unseren Geschmack?
Nein! Die Frauen dort würden unsere Schnitte so nie tragen: zu kurz, zu körperbetont an Stellen die sie nicht betonen würden. Kleider mit Neckholder? Geht gar nicht. Kleider ohne Ärmel? Geht gar nicht. Da stellt sich schon die Frage: In wie weit ist Geschmack übertragbar? Ich denke, das ist er nicht.
Als Österreicherin sind Sie ja an gewisse Standards gewöhnt. Wie ist die wirtschaftliche Lage im Niger?
Sehr schwierig! Viele Männer haben keine Arbeit, obwohl grundsätzlich die Männer die Familie versorgen sollten. Deshalb müssen die Frauen oft selbst für Nahrung aufkommen. Regen bleibt aus, die Ernte ist gering und es kommt dann wirklich zu einer schlimmen Lebensmittel- Knappheit.
Kriegt man da einen anderen Blick auf die europäische Wegwerfkultur?
Ja, einen sehr kritischen! Es ist so, dass tonnenweise europäische Altkleider an der Westküste Afrikas ankommen und von dort bis ins Landesinnere raufgehandelt werden. Natürlich ist es für viele eine günstige Möglichkeit, sich zu kleiden. Aber es ist auch problematisch, weil es die Textilindustrie innerhalb der Länder klein hält. Das Geschäft mit den Altkleidern wird zum Business.
Informationsmaterial kermer StadtSpionin Wien
Produktionsstätte in Agadez: Hier machen sich die SchneiderInnen ans Werk
Haben Sie auch schon österreichische Kleidung in Agadez entdeckt?
Ja, da gibt’s dann am Markt Altkleiderstände, wo man von Socken über Skianzüge alles bekommt! Das ist dann aber wirklich die letzte Qualität.
Wie gehen eigentlich die Menschen im Niger mit Mode um?
Dort wird getauscht oder die Kleidungsstücke werden an ärmere Verwandte weitergegeben. Alles wird bis zum letzten Stück getragen. Erst wenn der Stoff reißt und man nicht mehr flicken kann, wird ein Kinderkleid oder ein Schattenspender daraus gemacht.
Wird man ein anderer Mensch, wenn man hautnah mit einer so gegensätzlichen Realität konfrontiert wird?
Ja! Wenn ich von dem Leben hier erzähl, dann kommt’s mir selbst sehr komisch vor. Dass Menschen alleine leben, finden die Leute dort ganz absurd. Und dass viele Frauen keine Kinder haben. Sie fragen mich oft: Wie kannst du ohne Kinder sein? Das ist für sie unvorstellbar.
Wie werden Sie von den Menschen dort wahrgenommen?
Sie haben das Gefühl, dass ich machen kann, was ich will. Wenn ich dort bin, hab ich meistens ein Moped oder ein Auto. Und es gibt niemanden, der mir Dinge verbietet. Ich reise allein mit dem Flugzeug – das verwundert sie sehr.
Werden Sie um Ihre Freiheit beneidet?
Nein! Die Frauen dort haben einen sehr realistischen Zugang zu den Dingen. Sie sehen auch den Schatten meiner Freiheit. Sie idealisieren meinen Lebensstil nicht.
Abseits von der Mode als Kommunikationsmittel: Wie sieht’s mit der sprachlichen Verständigung aus?
Informationsmaterial kermer StadtSpionin Wien
Im Frauenatelier können sich vielbeschäftigte Frauen ihre Zeit flexibel einteilen
Französisch ist die Amtssprache, das konnte ich zu Beginn nur ganz minimal. Dann gibt es ja noch Tamashek und Hausa, die regionalen Sprachen. Die konnte ich natürlich noch weniger (lacht). Ich hab mich dann einfach ins Krankenhaus in die Geburtsstation gesetzt und hab beobachtet. Und die Leute sind so offen auf mich zugegangen! Ein paar Frauen haben mich geschnappt und mit zu sich nach Hause genommen.
Kommen Beziehungen ohne das Instrument Sprache aus?
Ja, manchmal schon. Ich hab eine Freundin, mit der ich mich am Anfang nur mit Mimik und Gestik verständigt hab. Da hat sich eine langjährige Freundschaft entwickelt und mittlerweile unterhalten wir uns über sehr persönliche Dinge. Sie spricht nur Tamashek und wir haben nur ganz wenige Worte, aber wir verstehen uns. Das ist so schön zu bemerken, dass soziale Interaktion auch über Sprachgrenzen hinweg funktioniert. Und dass man eigentlich nur ganz wenig braucht, wenn man die Bereitschaft hat, aufeinander zuzugehen.
Sie haben Freunde in Agadez und eine erfüllende Arbeit. Können Sie sich vorstellen, ganz auf Wien zu verzichten?
Nein! Aber natürlich hab ich schon mal dran gedacht.
Warum eigentlich nicht?
Erstens ist es schwierig dort ein Einkommen zu haben, mit dem man überleben kann. Und ich könnte mir auch nicht vorstellen, dort mit einem nigrischen Mann eine Familie zu gründen. Dann würd’ ich zu sehr einsteigen in diesen kulturellen Kontext. Ich brauch schon diese Beweglichkeit, ich brauch die Möglichkeit, zwischen den Welten zu reisen und in dieser Bewegung entstehen die Ideen. Ich merk halt schon auch, dass es wichtig ist, die eigenen Wurzeln zu spüren.
Glauben Sie, diInformationsmaterial kermer StadtSpionin Wien
Im Muu-Showroom im 7. Bezirk kann man die afrikanischen Kreationen kaufen
e kulturelle Kluft ist überwindbar für eine Partnerschaft?

Hm, eine schwierige Frage (überlegt). Ich glaub' für eine Beziehung ist der kulturelle Unterschied dann doch eine wahnsinnige Herausforderung. Diese soziale Geborgenheit, die ich als Einsteigerin als sehr angenehm empfind, ist schon auch mit sehr vielen sozialen Verpflichtungen verbunden.
Wien ist und bleibt also Ihr Lebensmittelpunkt. Welches Stück Agadez hätten Sie denn gerne hier?
Dieses unmittelbare Lebensgefühl! In Agadez sind die Häuser so gebaut, dass man viel draußen ist. Man geht vom Zimmer hinaus in einen Hof und ist sehr viel unter freiem Himmel. Ich fühl mich da total geborgen.
Wahrscheinlich eine überflüssige Frage: Gibt es etwas Europäisches, das Ihnen in Afrika fehlt?
Schnelles Internet! Und ab und zu fahr ich in den Mini Market und hol mir ein Mars oder ein Bounty. Oder wenn ich in der Landeshauptstadt bin, geh ich in den tollen Kuchenladen mit den leckeren Creme-Torten. Das genieße ich dann sehr (lacht)! Aber es hat eine ganz eigene Qualität, wenn nicht alles da ist.

Barbara Moser
(Dezember 2012)

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Fr 15:00 bis 20:00, Sa 11:00 bis 18:00 Uhr.
 
www.muu-design.at               

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