Wenn man sich intensiv mit einer Frau beschäftigt, lernt man immer etwas
Anita Zieher im Interview
Die gebürtige  Oberösterreicherin ist Schauspielerin und Theatermacherin in Wien. Vor zehn  Jahren gründete sie das „portraittheater“ und widmet sich seither in ihren  Stücken historisch interessanten Frauen wie Bertha von Suttner, Marie Curie  oder aktuell Rosa Luxemburg. Mit der StadtSpionin spricht die lebendige Mittvierzigerin über die  Hintergründe ihres Porträttheaters, ihre Faszination für starke  Frauenpersönlichkeiten und was wir alle von ihnen lernen können.
  
StadtSpionin: Sie beschäftigen sich als Schauspielerin  und Theatermacherin gern mit starken, historischen Frauen. So auch in ihrem  aktuellen Stück „Geheimsache Rosa Luxemburg“. Wie kam es zu dieser Form des  Porträttheaters?
Anita Zieher: Vor 10 Jahren hatten die  Regisseurin Brigitte Pointner und ich die Idee, ein Stück über Hannah Arendt zu  machen. Damals waren viele Jubiläen  von Mozart bis Freud – zu  Männern gab es wahnsinnig viel, zu Hannah Arendt haben wir gar nichts gefunden.  So entstand auch die Idee zur Gründung unseres Porträttheaters. Und es ist sehr  gut angekommen, dass wir versucht haben, das Leben, das Denken und das Werk  einer historischen Person in Form eines Theaterstücks zu vermitteln. Dann haben  wir gleich die nächsten Stücke gemacht, etwa über George Sand, Simone de Beauvoir  und Bertha von Suttner.
Wie war eigentlich Ihr Einstieg ins  Schauspieler/Produzentinnendasein – wollten Sie immer schon zur Bühne?
Ich wollte tatsächlich schon als Kind Schauspielerin  werden, bin aber in einer 900 Seelen Gemeinde aufgewachsen, da war der Weg zur  nächsten Bühne weit. Mit 18 hab ich mich nicht getraut, zu sagen, ich werde  Schauspielerin, deswegen hab ich auch in Salzburg zuerst studiert,  Politikwissenschaft und Publizistik. Der Impuls kam dann, als ich schon in Wien  lebte, nach einem Aufenthalt in New York, wo ich eine Freundin besucht hab. Die  Energie war dort so hoch und strahlte soviel Selbstbewusstsein aus – da bin ich  zurück nach Wien gekommen und hab mir gesagt, jetzt probier ichs nochmal, sonst  werf ich es mir ein ganzes Leben lang vor. Dann hab ich die Schauspielschule  besucht, angefangen Improvisationstheater zu spielen und mit ersten eigenen  Projekten begonnen.
 Wie wählen Sie die Frauen für Ihre Stücke  aus?
 Bei der Auswahl der Frauen spielt es eine  Rolle, dass es Frauen waren oder sind, die gesellschaftlich etwas Wichtiges  geleistet getan haben, und deren Beitrag auch heute noch nachwirkt. Für uns war  daher nicht unbedingt Kaiserein Sisi interessant, die find ich persönlich  überbewertet. So viele andere Frauen haben Pionierarbeit geleistet und man weiß  kaum etwas über sie. Bei „Curie_Meitner_Lamarr“ war es so, dass wir nach den  Geisteswissenschaftlerinnen und Philosophinnen etwas über  Naturwissenschaftlerinnen machen wollten.
      
    In "Curie_Meitner_Lamarr_ unteilbar" schlüpft Anita Zieher gleich in  drei Rollen historische Frauenfiguren Wie schafft man es als Schauspielerin, drei  Persönlichkeiten wie Curie, Lamarr und Meitner an einem Abend darzustellen und  klar zu definieren?
    Zum einen haben wir versucht, in den vielen  Büchern und Biografien von jeder einzelnen ein bestimmtes Bild zu entwickelen,  haben nach etwas Interessantem, Auffälligen an der Figur gesucht. Da sind die  drei dann auch so unterscheidlich, dass man sich als Schauspielerin überlegen  kann, was für einen Charakter, was für einen Gang, was für eine innere Energie  jede einzelne hat. Zum Beispiel ist auch so ein kleines Detail wie Schuhe  wichtig –  wie schnell oder langsam  jemand damit geht, aber auch das individuelle Sprechtempo.
    Wie lange braucht es, alles Relevante über  eine historische Figur zusammenzutragen und eine Rolle vorzubereiten?
    Mindestens ein Jahr. Rosa Luxemburg etwa  hat selbst so unglaublich viel geschrieben, und auch über sie gab es jede Menge  Texte, das ist extrem viel Material. Die größte Herausforderung ist es, sich zu  reduzieren, denn Stoff gäbe es auch für 5 Stunden. Das ist ein sehr spannender  Prozess, aber Gott sei Dank sind wir da zu zweit, die Regisseurin Sandra Schüddekopf und ich. Die Textarbeit ist sicher der  größte Brocken.
    Wie kamen Sie auf Rosa Luxemburg?
    Die war nach den Naturwissenschaftlerinnen  und Technikerinnen einmal eine Frau aus der Politik, wegweisend in der  Arbeiterbewegung. Und auch deswegen spannend, weil sie nicht nur Politikerin  war, sondern auch Theoretikerin.
    Warum heißt das Stück „Geheimsache Rosa  Luxemburg“?
    Zum einen, weil es im Leben von Rosa  Luxemburg sehr viele Dinge gab, die aufgrund der Zeit, in der sie gelebt hat,  geheimgehalten werden mussten. Frauen wurden ja lange von der Politik  ferngehalten, durften keinem politischem Verein angehören, und auch Rosa  Luxemburg  wurde ja oft deswegen  verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, weil sie ihre Meinung öffentlich gesagt  oder geschrieben hat. Deswegen schrieb sie viel unter Pseudonymen, versuchte,  heimlich etwas zu produzieren oder aus dem Gefängnis raus zu schmuggeln. Sie  musste viel im Geheimen tun. Zum anderen haben wir bei der Produktion im Kontakt mit  beteiligten Personen festgestellt, dass Rosa Luxemburg auch 100 Jahre später  noch polarisiert, dass es nicht heißt, sie war eine verdienstvolle historische  Figur, sondern eher „Jaja, des is ja a Kommunistin...“ Womit die Frage aufkam,  womit man sich heute noch beschäftigen „darf“.
    
    Im aktuellen  Porträt-Theaterstück steht 
    Rosa Luxemburg als einflussreiche und hoch interessante Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung  im MittelpunktWas planen Sie nach Rosa Luxemburg?
    Es gibt noch keinen konkreten Plan, Ideen  gibt es natürlich schon. Da wir so lange an einem Stück arbeiten, ist das schon  ein Kraftakt. Und unsere Stücke werden ja nicht nur einmal aufgeführt, sondern  länger und auch international, „Curie_Meitner_Lamarr_ unteilbar“ etwa schon im  vierten Jahr, und demnächst in der Schweiz und in Belgien, „ Peace Please“ über  Bertha von Suttner spielen wir schon das   7. Jahr. Es wird sicher wieder etwas Neues geben, jetzt gilt unsere volle Aufmerksamkeit noch der Rosa.
    Welche der von Ihnen porträtierten Figur  ist Ihnen am nächsten? Gibt’s eine Lieblingsfigur?
    Nein, weil jede Frau auf ihre Weise eine  spannende Herausforderung ist. Wenn man sich intensiv mit einer Frau  beschäftigt, macht das ja auch was mit einem, man lernt von jeder etwas. Was  ich von den Frauen mitgenommen habe, ist in erster Linie diese Hartnäckigkeit  und Ausdauer, die vieles überwunden hat, dieser Glaube an das was sie taten.  Interessant ist auch, dass sie nicht so eindeutig einzuordnen waren, Arendt,  Luxemburg, Beauvoir – alle machten eigentlich mehr, als das wofür sie  schubladisiert wurden. So heißt es über Bertha von Suttner, sie wäre eine  Adelige gewesen. Ja schon, aber was für eine! Die hat ein extrem spannendes Leben gehabt.  Eine Bio ist nie eindimensional, da gibt es so viele Facetten.
    Was kann man von diesen starken Frauen  lernen?
    Marie Curie etwa war eine der ersten Frauen  in der Wissenschaft, die gewusst hat, sie muss etwas verkaufen. Die ist zwar  überhaupt nicht gern im Mittelpunkt gestanden, wusste aber, es ist notwendig,  Fotos zu machen, oder dafür zu kämpfen, die Maßeinheit für Radioaktivität nach  ihr zu benennen. Das war der Lise Meitner etwa nicht so klar – weswegen sie,  obwohl sie eine derartige Koryphäe in Physik war, in Österreich kaum bekannt  ist.   
"Peace Please " über
    die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner gehört seit 7 Jahren zum Repertoire des portraitheaters von Anita Zieher
    Sie sind in Oberösterreich aufgewachsen,  haben in Salzburg studiert und leben jetzt in Wien. Wo ist Ihre Herzensheimat?
    Eindeutig in Wien! Das ist einfach eine der  lebenswertesten Städte. Sie bietet so viele Möglichkeiten, es gibt so viele  schöne Plätze, man ist schnell in der Natur, und es gibt so viele liebe und  interessante Menschen. Wenn ich mein ganzes Leben hier verbringen werde, werd  ich immer noch Ecken entdecken, die ich noch nicht gesehen habe, auch das  gefällt mir so gut an Wien.
    Haben Sie einen persönlichen Lieblingsplatz  in Wien?
    Sehr gern bin ich im Türkenschanzpark, ich  hab auch gelesen, dass die Paulinenwarte dort auf einem Kraftplatz steht. Ich liebe  die Hügel und die Bepflanzungen dort!
    Welche zur Zeit lebende Wienerin hätte das  Potential im nächsten Jahrhundert Jahren in einem Theaterstück aufzutauchen?
    Die Situation hat sich natürlich geändert,  es gibt wesentlich mehr Frauen in allen möglichen Bereichen, die Bewunderung  auf sich ziehen. Von der Kunst angefangen, etwa Maria Lassnig, bis Maria  Schaumayer in der Wirtschaft oder Johanna Dohnal in der Politik. Die Bandbreite  ist jetzt eine viel größere als damals. Meine Hoffung ist, dass wir das in  hundert Jahren nicht mehr  tun müssen. Dass es nicht mehr notwendig sein wird, Frauen vor den Vorhang zu holen,  weil es selbstverständlich ist.    
      
Ines Hofbaur
  (Februar 2016) 
  
    Fotos 
    Anita Zieher: Stefan Liewehr
    Curie_Meitner_Lamarr: Reinhard Werner
    
    Rosa Luxemburg: Reinhard Werner
    
  Bertha von Suttner: Armin Bardel
    
  
KONTAKT
  
  Anita Zieher
  www.anitazieher.at
  www.portraittheater.net
   
            
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    Anita Zieher, Schauspielerin & Theatermacherin 
    
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