An so einem Ort darf man keine 
  Pause machen
Barbara Glück im Interview
Seit 2005 leitet DDr. Barbara Glück das Mauthausen Memorial – Österreichs größte KZ-Gedenkstätte. In dieser Zeit war die Wienerin vor allem bei der Neugestaltung des Erinnerungsortes federführend – nach achtjähriger Planung eröffneten im Mai nun zwei neue Ausstellungen und ein Gedenkraum. Der StadtSpionin erklärt die studierte Lehrerin, was ihr dabei besonders wichtig war und was das Gestern mit dem Heute zu tun hat.
StadtSpionin: Sie haben eine der ungewöhnlichsten Karrieren Österreichs  und 2005 mit nur 27 Jahren die Leitung der KZ  Gedenkstätte Mauthausen übernommen. Wie wird man das eigentlich?
  Barbara Glück: Dafür gibt’s keinen Plan, das passiert zufällig.  Offensichtlich braucht man da auch ein bisschen Glück im Leben. Ganz banal  wurde die Abteilung hier im Innenministerium ausgeschrieben und ich hab mir  gedacht: Probier’s.
   Einfach so?
    Ja. Und dann hat’s geklappt und ich war in der Position –  und dann war ich am Anfang ein bisschen überrascht, was da so alles auf mich  zukommt. Es ist einem nicht sofort bewusst, dass man dann eigentlich  Österreichs größte Gedenkstätte leitet und Österreichs größtes Freilichtmuseum  mit 200.000 Besuchern – das kommt dann erst mit der Zeit.
   Aber Sie sind ja nicht nur für Mauthausen zuständig. 
    Das  ist richtig, da kommen noch die ganzen Angelegenheiten der Nebenlager dazu.  Mauthausen hatte ja über 40 Nebenlager und an einigen Orten gibt es heute  Gedenkstätten und an einigen entstehen gerade Initiativen. Wir haben in Gusen  eine Gedenkstätte, wir haben in Melk eine Gedenkstätte, am Loiblpass entsteht  gerade eine. Außerdem bin ich für rund 700 Kriegsgräber des 1. und 2. Weltkriegs verantwortlich. Das  heißt, wir müssen schauen, dass sie ordentlich gepflegt sind, von der  Bepflanzung her, von der Restaurierung her, dass das alles ordnungsgemäß  stattfindet.
    Gibt es da auch welche in Wien?
    Für  Wiener ist zum Beispiel das russische Befreiungsdenkmal am Schwarzenbergplatz  immer sehr markant, das ist auch in meiner Verantwortung, das haben wir jetzt  vor einigen Jahren generalsaniert. Es  gab hier in Wien auch einige Außenlager, wo jetzt gerade etwas entsteht. Das  Problem ist, dass da sehr viel mit der Forschung zusammenhängt, mit der Frage,  was wissen wir denn heute, was damals eigentlich war. Und ich glaube, wenn wir  soweit sind, dass wir sagen können, wir wissen was an diesem Ort passiert ist,  dann kann man auch langsam anfangen das aufzuarbeiten.
    
    Zwischen Mauthausen und Wien: Die gebürtige Wienerin pendelt zwischen dem Gestern und dem Heute.Wie kann ich mir eigentlich einen typischen Arbeitstag von Ihnen vorstellen?
      Das  ist jetzt natürlich schwierig, weil die letzte Zeit war auf das Projekt der  Neugestaltung ausgerichtet – bis zum 5. Mai, bis zu der großen Präsentation, und  in der Zeit hab ich in Mauthausen draußen gewohnt für sechs Wochen. Da ist man  dann halt täglich in der Ausstellung drinnen, die Objekte werden angeliefert,  die Gestalter sind da   –  diese Zeit war dann schon sehr intensiv.
    Und jetzt, wo alles wieder etwas ruhiger wird? 
  Da  bin ich einmal die Woche in Mauthausen draußen, fahr in der Früh raus um sieben  und komm am Abend um sieben wieder zurück. Und wenn ich hier in Wien bin,  gibt’s mit dem Team Besprechungen und jetzt geht’s schon wieder in die nächsten  Projekte. Das Schöne ist eigentlich, dass kein Tag wie der andere ist.
  Aber es gibt auch keine  wirkliche Pause dazwischen, oder? Wenn es jetzt gleich schon wieder ans nächste  Projekt geht.
  Ich  glaub an so einem Ort darf man keine Pause machen. Ich persönlich natürlich  schon irgendwann, aber der Ort darf nicht stehen bleiben. Der Ort muss sich  permanent weiterentwickeln. Wir können uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen  „Juhu, wir haben jetzt zwei neue Ausstellungen und einen neuen Gedenkraum und  das war’s jetzt.“ Da haben wir verloren.
    Wie sind Sie dann eigentlich an die Neugestaltung der KZ Gedenkstätte  Mauthausen herangegangen?
  Ich werd nie meinen ersten Besuch in der Gedenkstätte als  Verantwortliche vergessen: Ich komm’ in die alte Ausstellung, die in den 60er  Jahren gemacht wurde und ich denk mir „Oh, Gott. Das geht gar nicht. Oh,  Gott.“  Und von dem „Oh, Gott“ zu  dem Heute sind jetzt acht Jahre vergangen.
    Und was war Ihnen dabei besonders wichtig? 
  Eine unserer Leitideen war Ort und Inhalt zu verknüpfen. Die  BesucherInnen kommen an diesen Ort, weil sie die historische Bausubstanz sehen  möchten und gleichzeitig natürlich etwas darüber erfahren wollen, was damals  passiert ist. Das wichtigste ist, glaube ich, zu erreichen, dass die  BesucherInnen etwas mitnehmen können – dass sie das Gefühl haben, es hat etwas  mit mir zu tun.
    Wie erreicht man das?
  Für uns geht es dann darum den BesucherInnen Sehhilfen zu  geben, wenn sie an einen Ort kommen, wo heute nichts mehr ist. Sie gehen an  einer großen Wiese vorbei und wissen nicht, was damals war – und die Frage war  dann, wie erklär’ ich ihnen, dass dort das größte Massensterben stattgefunden  hat – wie zum Beispiel im ehemaligen Sanitätslager.  
    Die Gaskammern sind seit der Neugestaltung nicht mehr betretbar - warum?
  Was uns von Anfang an wichtig war, ist bestimmten Bereichen,  besonders den Tötungsbereichen, die Pietät und die Würde dieses Ortes  zurückzugeben. Bei der Gaskammer 
  Neugestaltung der Gedenkstätte: Im "Raum der Namen" sind die Identitäten der NS-Opfer verewigt.war es früher so, dass man von zwei Seiten  hineingehen konnte, das war ein Durchgangsraum. Und da wir wirklich sehr viele  Besucher haben, kommen die von beiden Seiten und treffen sich in der Mitte, da  tut sich sehr viel, es wird fotografiert – man weiß oft gar nicht mehr, in welchem  Raum man sich befindet. 
  Man kann heute nach wie vor zur Gaskammer hingehen, man kann sie halt nicht  mehr betreten. Das, was mich bis zuletzt gestört hat und verstört hat, war  eigentlich, dass man durchgehen kann – die Menschen die damals hineingekommen  sind, sind nicht mehr hinausgekommen.
  Ihr Büro ist hier im 1. Bezirk im Innenministerium – wie  ist das, wenn man nicht vor Ort in der Gedenkstätte ist? Hilft das manchmal?
Manchmal hilft die Distanz,  manchmal nicht. Ich glaub  ’ es geht darum eine persönliche Distanz aufzubauen –  mit der örtlichen Trennung hat das eigentlich nichts zu tun. 
  Ist es eigentlich deprimierend, wenn man sich den ganzen  Tag mit einer so schrecklichen Thematik beschäftigt?
Natürlich geht das auch  persönlich an die Substanz, wenn man Überlebendenberichte liest. Aber für mich  ist das Positive an dieser Arbeit, dass wir – und vor  allem jetzt auch seit dem 5. Mai 2013 – dass wir bereit sind, darüber  erzählen zu können, dass wir bereit sind, es allen zu erzählen und die  Geschichte von Überlebenden weiterzutragen. Es waren jetzt auch sehr viele  Überlebende bei der Eröffnung der Neugestaltung und einer hat uns gefragt, was  ist, wenn wir nicht mehr sind, wer erzählt dann unsere Geschichte? Und ich hab  gesagt – jetzt nach diesen ganzen Anstrengungen sehr zufrieden und glücklich –  ich hab gesagt, wir sind bereit sie zu erzählen. Und das ist eigentlich ein  sehr schönes Gefühl. 
    Trotzdem sagen Sie, dass man eine innere Distanz schaffen  muss – gibt es hier in Wien irgendwelche Orte, wo das gut geht, wo Sie gut  entspannen können? 
  Am Naschmarkt. Das ist  mein Lieblingsort in Wien. Ich mag das Treiben, ich mag das gute Essen, ich mag  die Leute. 
    Sie sind eine echte Wienerin...
  Was ist schon echt? (lacht)
  ... aber sind Sie gerne Städterin oder sind Sie nur wegen  des Jobs in Wien?
  Nein, nein. Ich bin in  Wien geboren, ich bin hier aufgewachsen, ich lebe in Wien – und ich liebe Wien!
    Nie das Bedürfnis gehabt, woanders hinzugehen?
    Doch schon, aber nie für  lange Zeit. Was ich immer bereut habe, ist, dass ich nie ins Ausland gegangen  bin, weil ich so schnell studiert habe. Außer mal für ein paar Monate als  Au-pair-Mädchen oder so – das hab ich immer bereut, das bereue ich heute noch.  Aber sonst – ich könnte mir eigentlich keine andere Stadt zum Leben vorstellen. 
    
    Steile Karriere: Mit nur 27 Jahren übernahm Glück die Leitung der KZ-Gedenkstelle Mauthausen.Sie haben zwei Doktortitel, als Lehrerin gearbeitet, waren  Kabinettsmitarbeiterin in mehreren Ministerien, leiten jetzt die  KZ-Gedenkstätte Mauthausen und führen ein Team mit 150 Mitarbeitern – was sind  Ihre nächsten Karriereziele?
     Ich hab eigentlich das  gefunden, wo ich mich wohl fühl’ und wo ich gerne arbeite. Ich bin so gerne  hier, jetzt in meiner Position, dass ich mir eigentlich nichts anderes  vorstellen kann. 
    Außerdem haben Sie noch einen zweieinhalb Jahre alte Sohn  - wie managen Sie Ihre Familie neben der Karriere?
    Der ist natürlich schon  sehr zu kurz gekommen in der letzten Zeit. Ich hab’ ihn kaum gesehen, weil ich  sechs Wochen am Stück in Mauthausen gewohnt habe und das muss ich jetzt wieder  nachholen. Aber wenn ich zuhause bin, dann hat er hundertprozentig meine  Aufmerksamkeit, weil das geht dann gar nicht anders. Dann ist es „Mama, da,  Auto spielen! Mama, da setz dich, Mama Buch anschauen!“ Und da bin ich sehr  dankbar dafür, weil in dem Moment hat man alles andere vergessen.
    Das heißt, Familie und Beruf lässt sich Ihrer Meinung nach  gut vereinbaren?
    Ohne Hilfe der Familie  nicht. Ohne die Unterstützung meines Mannes und meiner Familie würde das so in  der Intensität nicht gehen. Ich arbeite wieder voll und er geht in den  Kindergarten. Er ist Gott sei Dank auch kaum krank, aber dennoch sind’s halt da  und dort mal eine Dienstreise oder länger in Mauthausen sein oder so, wenn man  da nicht das Commitment der Familie hat, dann ist das schwierig.
    Seit 2009  sind Sie auch Gendermainstreaming Beauftragte im Innenministerium  – Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
       Das Innenministerium ist  natürlich ein sehr männerdominiertes Ressort, es geht also vor allem um die  Sensibilisierung der weiblichen Sprache im täglichen Miteinander, in diversen  Erlässen, in behördlichen Schriftstücken und um da einfach das Gesamtauftreten  des Innenministeriums nach innen und nach außen zu kontrollieren. 
      
      Eine junge Frau in einer Männerdomäne - anfangs musste sich Barbara Glück an ihrem Arbeitsplatz erst behaupten. Finden Sie, dass Sie sich als Frau – noch dazu als so junge  – erst einmal beweisen mussten, als Sie   hier die Leitung der KZ-Gedenkstätte übernommen haben?
      Nicht weil ich eine Frau bin, sondern eher weil ich jung war  – oder noch bin. Das hat sich dann gelegt.
    Aber es war etwas, was sie anfangs gespürt haben? 
    Ja, aber nicht weil ich eine Frau bin, also das überhaupt  nicht. Wir haben jetzt ja auch schon die dritte Innenministerin – also eine  Frau an der Spitze des Ressorts. Es war mehr das Alter, vielleicht aber auch  einfach nur man selber. Weil man sich selber fragt, bin ich dem gewachsen und  bin ich da schon alt genug. 
    Wenn wir noch mal kurz zurückkommen zur Gedenkstätte. Sie  haben gesagt Mauthausen hat zirka 200.000 Besucher jährlich, gleichzeitig gibt  es nur noch wenige Überlebende. Wie glauben Sie wird sich die Gedenkkultur hier  weiterentwickeln? 
Den Trend, den wir jetzt gerade  sehen, ist, dass das Interesse wieder größer wird. Es ist meine Generation, es  ist die dritte Generation, die ein verstärktes Interesse daran hat  nachzufragen, was war denn mit der Generation meiner Großeltern. Bei der zweiten Generation war es eher so – ich weiß das auch aus Erzählungen  von meiner Mutter – da ist kaum etwas darüber gesprochen worden,  auch im Unterricht ist es nicht  angesprochen worden. Und meine Generation ist schon so weit weg, dass man einen  ganz einen anderen Blick auf dieses ganze Thema hat.
Wie reagieren Sie in der Gedenkstätte auf diese Entwicklungen?
Wir haben ein neues  Informationsangebot, wir haben neue pädagogische Programme, wir haben neue  Zugänge, die wir gemeinsam mit Sozialarbeitern und Psychologen ausgearbeitet  haben. Um den Blick im Heute zu schärfen,   um nie zu vergessen, wir befinden uns 2013 und was können wir trotzdem  aus der Zeit vor `45 für uns mitnehmen. Das ist vielleicht auch meine Passion,  warum ich Historikerin bin, ich sag’ immer, ich kann das Heute nur durch das  Gestern erklären – und daher muss ich wissen, was gestern war. Das war für mich  der Grund, warum ich Geschichte studiert habe, das versuche ich auch meinem  Team weiterzugeben und das möcht’ ich auch den BesucherInnen weitergeben.   
Lilly Maier
  (Juni 2013) 
  
    
    Foto "Raum der Namen": 
  BM.I Stephan Matyus
  
    
  
KONTAKT
  
  KZ-Gedenkstelle Mauthausen
  Erinnerungsstraße 1
  4310 Mauthausen
  
  
  Täglich von 9:00 bis 17:30 Uhr.  
   
  www.mauthausen-memorial.at              
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    Cecily Corti, Obfrau von VinziRast
    
Barbara Glück, Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen
  
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Verena Forstinger, Hoteldirektorin "Style Hotel Radisson"
Karin Troschke, Papierrestauratorin
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Rahel Jahoda, Therapeutin bei intakt, dem 
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  Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"
Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums
Lama Palmo, buddhistische Priesterin
Elke Krasny, Stadtforscherin
Ingrid Erb, Bühnen- und Kostümbildnerin
Jutta Ambrositsch, 
    Winzerin in Wien
    
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