Die weibliche Stadtgeschichte von Wien
Elke Krasny im Interview
Elke Krasny (46), Kulturtheoretikerin und Stadtforscherin, hat 20 Frauen auf ihren Alltagswegen durch Wien begleitet und dann entlang dieser Wege nach Spuren weiblicher Geschichte gesucht. Allein in den ausgesuchten Straßen entdeckte sie 700 berühmte Frauen, die hier lebten, arbeiteten und wirkten. Die StadtSpionin sprach mit der Forscherin, die in ihrer aktuellen Ausstellung der Wienbibliothek und in einem Buch diese „andere Topographie von Wien“ zeigt.
  
  Elke Krasny, Stadtforscherin und AusstellungsmacherinStadtSpionin: In der Ausstellung „Stadt und  Frauen“ widmen Sie sich ausschließlich historischen Wiener Frauen. Woher kommt ihr  Interesse an der „weiblichen Hälfte“ von Wien? 
  Elke Krasny: Was mich schon immer beschäftigt,  sind Fragen der Gerechtigkeit. Und wenn man in Wien Straßennamen anschaut oder  Gedenktafeln liest, ist es ein eklatanter Unterschied, wie Männer hier  repräsentiert sind und wie Frauen präsent sind. Der öffentliche Raum ist ja ein  kollektiver Gedächtnisraum – und in meinen Arbeiten interessiert mich, wie  etwas sichtbar wird und wie andere Dinge, oder in dem Fall die Frauen,  unsichtbar bleiben. Mich interessiert die Ungerechtigkeit in einer Repräsentationslandschaft. 
  Ist dieser „Ärger“ darüber, dass  die weibliche Seite unsichtbar ist, für Sie schon länger ein Thema?
  Ich habe mich schon vor einigen Jahren in einem  Museums-Projekt damit auseinandergesetzt. Dafür habe ich Wiener Museen in ihren  Schausammlungen darauf angeschaut, wie unterschiedlich Männer und Frauen hier  auftauchen. Einerseits in den ausgestellten Objekten, andererseits in den  Beschriftungen, die neben den Dingen hängen. Diese Museums-Auseinandersetzung  ist im Web unter www.musieum.at immer noch online und man kann sie unter  verschiedenen Themen navigieren. Mir geht es aber nicht darum, nur  Frauengeschichte zu erzählen. Das Ziel ist eigentlich, dass es eine gerechte  Geschichte gibt, in der Frauen und Männer gleichermaßen ihre historische Heimat  haben.
  Sie haben für die Ausstellung und  das Buch eine riesige Fülle an Informationen gefunden. Die Wohnung der  Schauspielerin Ida Roland, einer Vorkämpferin gegen den Faschismus, den 1875  gegründeten Wiener Haufrauenverein, den literarischen Salon von Fanny von  Arnstein – insgesamt 700 weibliche „Anknüpfungspunkte“ entlang von 20 Wegen.  Wie haben Sie das recherchiert?
  
 
Die Ausstellung "Stadt und Frauen" in der Wienbibliothek im RathausIch habe sehr viele Biographien gelesen, Briefwechsel  angeschaut, Lexikas und wissenschaftliche Arbeiten studiert, Bezirksführer  gelesen. Und natürlich hat man auch immer wieder mal Zufallsfunde, dass Leute  einem was erzählen. Aber das ist echt selten.
   Haben die 20 Frauen, mit denen  Sie diese Wege gegangen sind, auch Informationen geliefert?
    Nein, überhaupt nicht. Das war eine lange Recherche, an der  ich zweieinhalb Jahre gearbeitet habe. Ich wollte damit beweisen: Weibliche  Stadtgeschichte gibt es nicht nur an einem bestimmten Ort. Natürlich gibt es  Zentren wie an der Tuchlauben, wo der Frauenverein seinen Sitz hatte oder die Rosa  Mayreder aufgewachsen ist. Aber entlang von jedem Alltagsweg lässt sich diese  Geschichte entdecken, wenn man interessiert genug zu schauen beginnt.
     Ich könnte also jede Straße in  Wien gehen und würde die weibliche Geschichte finden?Genau das ist es, was ich zeigen  wollte.
     Was war dabei für Sie persönlich  der interessanteste Fund?
    
Für die Ausstellung wurden unzählige Original-Dokumente und Fotos von berühmten Wienerinnen zusammengetragenSpannend war für mich, was in meinem eigenen Umfeld  passierte. Ich wohne in der Lerchenfelderstraße, und dass die Strozzigasse nach  einer Frau benannt ist - der Gräfin Strozzi, die da im 18. Jahrhundert viel  baute - das hat mich erstaunt. Auch dass die Helene von Druskowitz in der  Piaristenschule im Achten ins Gymnasium gegangen ist, das wusste ich vorher  nicht. 
  Und dann fand ich die Netzwerke zwischen Frauen sehr  spannend, die man über die Briefwechsel sieht. Wie intensiv haben Frauen aus  der ersten Frauenbewegung miteinander korrespondiert!
     Hat Sie die unglaubliche Dichte  an Frauenanknüpfungspunkten überrascht?
  Mit der großen Fülle hat wirklich niemand gerechnet. Ich habe  darauf gehofft, das man sie finden kann. Dass sie existiert, davon bin ich  ausgegangen – das Schwierige war, wie findet man das. Wie kann man die Adressen  lokalisieren?
    Wie stellt sich nach dieser  intensiven Recherche das weibliche Wien in der Vergangenheit für Sie dar? Ist  das ein reges Wien?
  Ja, durchaus. Vernetzung ist zwar ein sehr heutiges Wort,  aber ich denke: Treffen, Freundschaften, Zusammenarbeiten, Solidarität – wie  etwa im Schriftsteller- und Künstlerinnenverein, der auch Pensionen angespart und  an ältere Frauen ausgezahlt hat – das ist kennzeichnend für die Wiener Frauen  aus Intellektuellenkreisen damals.  
     Die Solidarität unter Frauen ist  ein positives Merkmal der weiblichen Stadtgeschichte von Wien, gibt es auch  negative Aspekte?
  Ja, eindeutig die enorme Erschütterung in dieser Stadt mit  dem Beginn des Faschismus, der einen unglaublichen Braindrain bedeutete.  Einerseit die Vertreibung, andererseits die Vernichtung von weiblicher  jüdischer Intelligenz, aber auch von weiblichem politischem Widerstand. Das  Ergebnis war, dass nach dem Krieg ein eklatant konservatives Frauenbild  gegriffen hat. Das war ja viel, viel konservativer, als es schon mal in den  10er oder 20er Jahren davor war. Und im Grunde genommen haben wir uns bis heute  nicht ganz erholt davon. Mit Auswirkungen in alle möglichen Lebensbereiche: Es  ist ja interessant, dass es in der Zwischenkriegszeit viel mehr Frauen gab, die  in Wien Physik studierten als heute.
  Dieser Einschnitt, diese sieben Jahre sind eine extrem  gravierende Wunde in der Geschichte dieser Stadt.
  
   Sie haben bekannte und unbekannte  Frauen – von der Filmemacherin Barabara Albert bis zum Schulkind Kaira Kurosaki  - auf ihren Wegen durch Wien begleitet. Das sind Alltagswege ins Büro, in die  Arbeit, in die Schule. Was wäre denn Ihr Weg durch Wien?
  
 Mit dem Buch "Stadt und Frauen" kann man die Alltags-Wege von 20 Frauen nachgehen und dabei 700 historische Frauenfiguren findenGar nicht einfach, weil mein Büro  eigentlich zu Hause ist. Aber sicher der Weg von der Lerchenfelderstraße in die  Akademie der bildenden Künste, weil ich dort unterrichte. Das ist ein Weg, den  geh ich ganz ganz oft. Häufig ist auch der Weg in die Wiener Stadtbibliothek im  Rathaus und ins Museumsquartier, weil ich da im Architekturzentrum gerade drei  Jahre lang eine Ausstellung vorbereitet habe. Da sind Wege, die kann ich  wirklich schon im Schlaf gehen. Sie kennen sicher das Gefühl: Man geht los und  plötzlich steht man woanders. Weil die Schritte selber den Weg gefunden haben.
   Kam die Idee, die Wege von  modernen Frauen mit weiblicher Stadtgeschichte zu verbinden, durch ihre Lust am  Gehen?
  Ja, aber durch die Lust am  alltäglichen Gehen. Das ist ja ein schnelleres und routinierteres als das  Spazierengehen. Beim Flanieren, beim Lustgehen hat man einen viel weiteren  Blick und eine andere Körperbewegung. Eigentlich habe ich im Buch damit gespielt: Was  für die eine Frau ein Alltagsweg ist, kann für eine andere durch Nachgehen zu  einem historisch-gegenwärtigen Flanierweg werden.
  Das Buch zur Ausstellung ist ja  wirklich wie ein Reiseführer gestaltet: Man kann die Wege Schritt für Schritt  nachgehen. Hat sich eigentlich vor Ihnen jemals jemand mit dem „weiblichen  Stadtplan“ von Wien beschäftigt.
  Ich kenne keinen. Aber ich würde  mich freuen, wenn das Schauen und Recherchieren weitergeht.
    
 
    
   Sabine Maier
AUSSTELLUNG bis 26. Juni 2009
  Wienbibliothek im Rathaus
   Rathaus, Eingang Lichtenfelsgasse, Stiege 4 (Lift), 1. Stock. 1010 Wien
  Mo - Do 9:00 bis 18:30, Fr bis 16:30 Uhr. Eintritt frei
  
  www.wienbibliothek.at
  
  BUCH 
  Elke Krasny "Stadt und Frauen"
  Metroverlag 2008
  Hier bestellen
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  BISHER ERSCHIENEN
Sophie Frank, Strick-Queen
Seh-Ra Klepits, Gründerin Gibun Tea
Isabell Claus, Gründerin thinkers.ai
Sandra Scheidl, Köchin
Marlene Kelnreiter, Käsemacherin
Doris Pulker-Rohrhofer, Geschäftsführerin Hafen Wien
Lisz Hirn, Philosophin und Publizistin
    
  Carla Lo, Landschaftsarchitektin
Ulli Gladik, Dokumentarfilmemacherin
Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren
Barbara van Melle, Slow Food-Botschafterin
    
    Ilse Dippmann, Frauenlauf-Gründerin 
    
    Clara Luzia, Singer-Songwriterin    
    
    May-Britt Alróe-Fischer, Leiterin des Modepalast    
    
    Anita Zieher, Schauspielerin & Theatermacherin 
    
  Clara Akinyosoye, Chefredakteurin "fresh"  
Elis Fischer, Krimi-Autorin
    
    Cecily Corti, Obfrau von VinziRast
    
Barbara Glück, Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen
  
  Ingrid Mack, Erotikfachfrau und Besitzerin von "Liebenswert"
  
  Petra Jens, Fußgängerbeauftragte 
  
      Ursula Kermer, Gründerin Muu-Design
    
    Nathalie Pernstich, "Babette's"-Inhaberin & Gewürzpäpstin
    
      Stefanie Oberlechner, Donau-Schiffskapitänin
Christine Kintisch, ehemalige Leiterin der BAWAG Contemporary
Anette Beaufays, Leiterin der Art for Art Kostümwerkstätte
    
  Annemarie Harant,  Gründerin der "Erdbeerwoche"
Ulli Schmidt, Geschäftsführerin der Wiener Tafel
    Kathi Macheiner, Mode-Designerin "sixxa"
  
  Nuschin Vossoughi, Chefin Theater am Spittelberg
Claudia Krist-Dungl, Geschäftsführerin des Dungl Zentrums Wien
Andrea Brem, Chefin der Frauenhäuser Wien
Christina Zurbrügg, Jodlerin
    
  Gabriele Schor, Leiterin Sammlung Verbund
Frenzi Rigling, Künstlerin
Elisabeth Gürtler, Sacher-Chefin
Margot Schindler, Direktorin des Volkskundemuseums
Friederike Range, Wolfsforscherin
Mercedes Echerer, Schauspielerin
Verena Forstinger, Hoteldirektorin "Style Hotel Radisson"
Karin Troschke, Papierrestauratorin
Gabriele Gottwald-Nathaniel, Leiterin von "gabarage" und Kalksburg
Rahel Jahoda, Therapeutin bei intakt, dem 
    Zentrum  für  Ess-Störungen 
    
  Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"
Aslihan Atayol, Schmuck-Designerin
Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums
Lama Palmo, buddhistische Priesterin
Elke Krasny, Stadtforscherin
Ingrid Erb, Bühnen- und Kostümbildnerin
Jutta Ambrositsch, 
    Winzerin in Wien
    
  Monika Buttinger, Designerin "Zojas"
Ketevan Sepashvili, Pianistin
    
  


